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Die einzelnen Teile der Sagen und Erzählungen aus Alsdorf und Umgebung:
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Sagen und Erzählungen aus Alsdorf

Teil IV: „Der Klüttekarajan”

Teil IV der Sagen und Geschichten stammt aus dem Buch „Der Klüttekarajan”. Es wurde 1999 vom Bergbaumuseum Wurmrevier e.V. herausgegeben und ist noch käuflich zu erwerben.

Klatschtanten (Agnes Rütten)

Et Marie un et Nes¹, zwei Bergmannsfrauen, waren echte Klatschtanten. Wenn man die beiden kannte, brauchte man keine Tageszeitung mehr.

Ihre Ehemänner, sehr geruhsame Gesellen, konnten diesen Tratsch nun gar nicht leiden.

Nes besuchte morgens ihre Freundin Marie und war bass erstaunt, als Maries Ehemann schon daheim war.

Sie trat ganz nervös von einem Bein aufs andere. Ihr fiel nichts anderes ein als: „Nä, nä, me weß esu völl va anger Lüh, und mer darf nüß saare!”²

²) Nein, nein, man weiß soviel von anderen Leuten, und man darf nichts sagen!

¹) Die Marie und die Agnes
²) Nein, nein, man weiß soviel von anderen Leuten, und man darf nichts sagen!

Der Ehekrach (Gisela Dietrich)

Untrennbar mit dem Leben der Bergleute war die Industriegewerkschaft Bergbau und Energie verbunden. Für einen guten Gewerkschafter war es Ehrenpflicht, die Versammlungen zu besuchen. Sie fanden sonntags vormittags statt. Der Vorsitzende bemühte sich stets, die Sitzung um zwölf Uhr zu beenden, denn zu Hause warteten die Frauen mit dem Mittagessen auf ihre Männer.

Wie das bei Versammlungen so ist, es gibt zu ein und demselben Thema oft verschiedene Meinungen, die bis zwölf Uhr meistens nicht ausdiskutiert werden können. Es gab und gibt immer welche, die nach dem offiziellen Versammlungsende aus dem Saal an die Theke wechseln und dort die Diskussion fortsetzen.

Zu Hause hat die Familie schon lange das Mittagessen beendet, nur das Oberhaupt ist noch überfällig. Sein Kotelett schmurgelt in der Pfanne, der Salat wird welk, die Kartoffeln werden alt. Aber den engagierten Gewerkschafter kümmert das nicht. Das Thema muss bei einigen Glas Bier mit den Kollegen ausdiskutiert werden. Zwischen 14 und 15 Uhr erscheinen manchmal Kinder in der Gastwirtschaft, um den Vater nach Hause zu holen. Manchmal kommt auch die Ehefrau, dann gibt es meist ein Donnerwetter, und das vor allen Kollegen.

Nach einer Versammlung diskutierte auch Willem lautstark in der Thekenrunde mit. Von seinem Platz aus konnte er die Eingangstür sehen. Es war noch keine halbe Stunde vergangen, da ging Willem hinter seinem Nebenmann in Deckung. Er hatte sich nicht getäuscht. Willems Seufzer: „Au weia, meine Alte!” bestätigte es.

Das von allen Seiten erwartete Donnerwetter blieb aus. Willems bessere Hälfte kümmerte sich gar nicht um ihn. Sie begrüßte alle mit Handschlag, bestellte ein Pils, prostete allen zu, tat einen tiefen Zug aus ihrem Glas, und als sie sah, dass einige Kollegen ihre Gläser leer hatten, gab sie eine Runde Pils aus und Kurze dazu. Willem war ganz verdattert. Ihm hatte das Verhalten seiner Frau im wahrsten Sinne des Wortes die Sprache verschlagen.

Als Willems Frau dann eine Runde Frikadellen und noch eine Runde Pils bestellte, fand er seine Sprache wieder, protestierte lautstark und verbot dem Wirt, die Bestellung auszuführen. Er reichte ihm seinen Deckel mit der Bemerkung, er würde morgen bezahlen, packte seine Frau am Arm und versuchte, sie aus der Wirtschaft zu ziehen. Sie riss sich los, lachte ihn an und bemerkte: „Was du kannst, kann ich auch. Wenn es dir hier nicht mehr gefällt, kannst du ja gehen. Dein Mittagessen ist in der Bratröhre.” Willem brummte sich etwas in den Bart und verließ wütend das Lokal.

Gegen 17 Uhr begleitete die Thekenmannschaft Willems Frau nach Hause. Sie war nicht mehr ganz sicher auf den Beinen. Die Gruppe soll sehr fidel gewesen sein.

Als Willem später seinen Deckel bezahlen ging, präsentierte ihm der Wirt auch die Rechnung seiner Frau. Seit jenem Sonntag hatte es keiner eiliger, nach der Versammlung nach Hause zu kommen, als Willem.

Anruf genügt (Toni André)

Man musste ihm unumwunden zugestehen, dass er ein guter Elektriker war. Seine Fähigkeiten waren mehr praktischer Art, mit der Theorie hatte Karl es nicht. Die Arbeit machte ihm einfach Spaß. Allerdings war er ein wenig naiv. Wenn der Meister jemanden brauchte, der Überstunden machte, verließ Karl ihn nie. So auch an einem Sonntag im Wonnemonat Mai. Es mussten dringend Reparaturen durchgeführt werden, die man nur bei ruhender Produktion machen konnte. Karl war für alles verantwortlich, auch für neues Material.

So brauchte er auch ein Stück neues Kabel, denn das alte Teil war bei einem Schwelbrand unbrauchbar geworden. Karl griff zum Telefon und rief in der Materialausgabe an: „Hallo, hier Karl; ich brauche ein Stück Kabel, aber dreiadrig, bitte.” Vom anderen Ende kam die Frage: „Wieviel soll es denn sein?” Karl klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter, damit er seine Hände frei bekam. Dann zog er beide Hände auseinander und wollte wohl damit die Länge andeuten. Gleichzeitig rief er ins Telefon: „So ein Stück muss es schon sein!” Vom anderen Ende erklang die Stimme: „Ja, wieviel denn nun?” „Ich sagte doch schon: so viel!” schrie Karl ins Telefon, und wieder gingen seine Hände auseinander.

Das Spiel wiederholte sich noch ein drittes Mal, bis Karl endlich begriff, dass er so die Länge des Kabelstücks immer noch nicht genau angegeben hatte. Jetzt rief er mit bösem Blick und barscher Stimme: „Schick mir fünf Meter, damit komm ich hin!” Dann legte er sofort den Hörer auf und brummte vor sich hin: „Ja, ja, da sagen sie immer: Anruf genügt! Aber erst muss man sich richtig aufregen, ehe die kapieren, was man eigentlich will. Schlimm ist das!”

Kaffeekochen auf der Kokerei Anna (Willi Stachowiak)

Franz musste sich wohl zum Strandgut des letzten Krieges zählen. Eine Riesenwelle hatte ihn aus dem „Osten des Reiches, aus Landsberg an der Warthe,” bis hier nach Alsdorf verschlagen.

In Alsdorf hatte er auf der Kokerei Arbeit gefunden. So wie sich über die Zeit seine Position vom Kokereiarbeiter bis zum Koksmeister veränderte, verschwand auch Landsberg immer weiter aus seiner Erinnerung. Anfänglich hatte er auf Fragen, aus welchem Teil Deutschlands er komme, noch selbstbewusst geantwortet; mit und mit spielte dies jedoch eine immer geringere Rolle.

In allen Werkstätten und Betriebsabteilungen über Tage wurde nach halber Schicht eine Kaffeepause eingelegt. An einem zentralen Punkt stand der „Kaffeekessel” zur Heißwasserbereitung; und damit nicht jeder seinen Arbeitsplatz zum „Kaffeeaufschütten” verlassen musste, standen an Eckpunkten der Abteilungen Tragegestelle zur Aufnahme der eigenen persönlichen Kaffeegefäße bereit. Jeder stellte zu Schichtanfang sein „Pöttchen” mit viel oder weniger, mit gutem oder weniger gutem Kaffeeersatzmehl, manchmal mit schon etwas Bohnenkaffee, hinein, und einer, der am besten während der Schicht seinen Arbeitsplatz verlassen konnte, musste dann mit dem Tragegestell zum Kaffeekessel reisen und Kaffee aufschütten.

In dieser Zeit war auch einmal Franz an der Reihe, diese Aufgabe zu verrichten. An einem Morgen war er etwas früher am Kaffeekessel und musste noch warten, bis das Wasser kochte.

Während dieser Wartezeit kam Betriebsführer Brunne in Gedanken versunken am Kaffeekessel vorbei, ohne Franz zu bemerken. Mit einem kräftigen Ruf „Glück auf, Herr Betriebsführer!” holte Franz ihn auf den Boden der Tatsachen zurück - zu ihm vor den Kaffeekessel. „Glück auf! Glück auf!” erwiderte der Betriebsführer und erinnerte sich zugleich an das Schicksal von Franz „aus Landsberg an der Warthe”. Er blieb stehen und erkundigte sich mitfühlend: „Würden Sie, wenn es möglich wäre, denn noch einmal in Ihre Heimat zurückkehren?” Die Antwort von Franz, eingedenk der vielen Fragen und Witze, welche er sich bereits in der Vergangenheit hatte anhören müssen, und der vielen Morgen Wind hinter Haus und Hof welche man ihnen, den Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Osten zuordnete, lautete spontan und respektlos: „Um Gottes willen, nein, Herr Betriebsführer, - wer soll dann hier den Kaffee aufschütten?!" Betriebsführer Brunne schien zuerst verblüfft, - dann lächelte er verstehend und wandte sich still wieder seinen Dienstgeschäften zu.

Auswahlverfahren

aus: Heimatblätter des Landkreises Aachen Heft 1/1937

Wenn auf dem Büll¹ etwas „kapott” war, d.h. wenn sich an irgendeinem Betriebspunkte eine Störung zeigte, dann gab es oft die seltsamsten Auftritte. So klappte es auch einmal nicht unter Tage. Die auf dem Schacht zum Einfahren fertigstehende Belegschaft konnte nur zum Teil an die Arbeit gehen. Et Wietzje² traf die Auswahl der Arbeiter auf folgende Weise: Er nahm sich einen Besen unter die Arme und ging damit durch die Reihen der Arbeiter, indem er sagte: „Wem ich met de Bessem zonoh komm, de bliet hem.”³ Er wusste natürlich genau, wen er mit dem Besen berührte.

¹) Grube Nordstern
²) Betriebsführer Wiertz
³) Wem ich mit dem Besen zunahe komme, der bleibt zu Hause.

Fahrsteiger (Heinz Karsznia)

Fußnote

Als Jungbergmann oder Schlepper wurde man auf einer Grube angelegt. Nach Jahren meldete man sich zur Hauerprüfung und war dann Lehrhauer. Es folgte eine kurze theoretische Ausbildung und darauf, nach bestandener Prüfung, erhielt man als Hauer vollen Lohn.

Schießhauer, Meisterhauer, Aufsichtshauer waren Bezeichnungen für erfahrene Bergleute, die untertage mit besonderen Aufgaben betraut waren. Zu den Aufsichtspersonen zählten die Fahrhauer. Zur Aufsicht waren aber meist Steiger eingesetzt. Es waren Personen mit langjähriger, auch theoretischer Ausbildung auf einer Bergschule. Sie waren Bergingenieure. Beförderungsstufen dieser Bergleute waren Reviersteiger, Fahrsteiger und Obersteiger. Als Betriebsführer war man an der Spitze dieser Beförderungsskala. Bergwerksdirektor konnte man allenfalls noch werden.

Hauer Kowalski kommt zum Schalter: „Steiger, ich brauche ein neues Hinterleder. Könnt Ihr mir den Magazinschein dafür schreiben?” Steiger Wagner: „Fritz, du bist doch ein alter, gestandener Bergmann. Nun drück dich auch mal so aus, wie es sich gehört! Das Ding heißt Arschleder. Wir besingen es doch auch als solches in der letzten Strophe unseres Bergmannsliedes. Den Schein musst du übrigens vom Fahrsteiger zur Genehmigung abzeichnen lassen. Es wird angeblich mal wieder zuviel und zu großzügig verschrieben.”

Im Fahrsteigerbüro: „Kowalski ist mein Name. Fahrsteiger, ich brauch ´ne Unterschrift für ein neues Arschleder.” Fahrsteiger Koch: „unmögliches wird bei uns sofort erledigt. Aber, eine Ausdrucksweise ist das vielleicht! In Zukunft heißt das auch für Sie ,Fahrleder'! Alles klar?” Fritz Kowalski, schon an der Börotür: „Alles klar! In Zukunft ,Fahrleder'. Froh bin ich nur, dass ich kein ,Fahr'-Steiger bin.”

Kinderkommunion (Albert Gerards)

In Schmidthof bei Walheim, in der Nähe der Grube Georg, war Kinderkommunion. Da die Bergarbeiter alle arm waren und viele Kinder hatten, gab die Grube einen Zuschuss für das Einkleiden des ältesten Kindes, und dies war beim Bergmann Karl die Tochter Claudia. Sie bekam ein weißes Kleid.

Der Kommuniontag war gekommen, und als man aus der Kirche nach Hause kam, musste Claudia sich umkleiden, damit das kostbare Kleid für die Andacht am Nachmittag sauber bliebe. Die Mutter hängte das Kleid auf die Wäscheleine im Garten. Eine Ziege auf dem Nachbargrundstück beobachtete sie dabei.

Am Nachmittag wollte Claudia ihr Kleid wieder von der Leine holen. Doch, oh Schreck: Die Ziege stand im Garten und verspeiste soeben den Rest des Kommunionkleides. Da lief Claudia wütend zu ihrer Mutter und rief: „De Jees hat dat Kleed, dann kann se och en de Kirch jon!"¹

¹) Die Ziege hat das Kleid, dann kann sie auch in die Kirche gehen!

Monatslohn (Heinz Hädermann)

Wir waren eine eingespielte Mannschaft und arbeiteten im Bereich der Aus- und Vorrichtung auf der 610-Meter-Sohle. Es musste ein neuer Querschlag aufgefahren werden. Unsere Ortsbelegung hatte mit dem Betriebsstellenleiter der Firma ein Kameradschaftsgedinge abgeschlossen, also alle Mitarbeiter erhielten, ihrer Einstufung entsprechend, einen anteiligen Lohn.

Nach Monatsende fragten wir deshalb den Betriebsstellenleiter, was wir wohl im Vormonat verdient hätten. Die obligatorische und wohl auch mehr scherzhafte Antwort lautete dann zunächst einmal: „Jonge, verdeent hat ihr nühs, - ewer ich schriff üch jett!”¹

¹) Jungen, verdient habt ihr nichts, - aber ich schreibe euch etwas!

Ein neuer Hund (Albert Gerards)

Der Bergmann Wild wohnte in der Nähe der Grube Breiniger Berg bei Stolberg. Sein Hund begleitete ihn jeden Morgen dorthin. Erst kurz vor der Einfahrt verabschiedete sich der Bergmann von seinem Hund, der allein den Weg zurück nach Hause fand.

Es begab sich, dass der Hund unter den Karren des Fuhrwerkers Hoven aus Krauthausen kam. Der Hoven versprach dem Wild einen neuen Hund.

Am Morgen des folgenden Tages vor der Schicht wartete der Fuhrwerker Hoven mit einem jungen Hund am Grubeneingang. Als nun der Bergmann Wild zur Grube kam, fragte er: „Wo soll i ch met dem Dier hän? - Deä jeht doch net allee no heem!”¹ Er nahm den Hund, steckte ihn in die große Tasche seiner Latzhose. Dann sagte er zum Hoven: „Dämm weil ich nett ömmesönz. - No de Schich jömmer os e krije”²

Am späten Nachmittag nach der Schicht trafen sich die beiden und gingen in die Gaststätte an der Grube. Nach ein paar Stunden und reichlichem Biergenuss traten sie den Heimweg an. Unterwegs musste der Bergmann austreten. Er stellte sich an eine Hecke, mechanisch schlug er seine Jacke zurück und wollte die Hose öffnen. Plötzlich stutzte er und rief entsetzt: „Do worr dr hoddele Köter doch flotter und hat mich at en de Botz jeseekt!”³

¹) Wo soll ich mit dem Tier hin? - Der geht doch nicht allein nach Hause!
²) Den will ich nicht umsonst. Nach der Schicht gehen wir uns eins kriegen (trinken).
³) Da war der lumpige Köter doch flotter und hat mir schon in die Hose gepinkelt!

Der letzte Gulden

Der Schmitze Jupp von der Verladung „Eschweiler Reserve” war krank geworden. Als sich der Übertagesteiger nach ihm erkundigte, meinte er besorgt: „Hoffentlich ist es nichts Schlimmes!”

Nach zwei Tagen hieß es auf der Grube: „De Schmitze Jupp es jestorve!”¹

Dem Steiger ging diese Nachricht sehr nahe, denn er konnte den Jupp gut leiden. Bereitwillig gab er seinen letzten Gulden für einen Kranz, den die Kameraden zum Begräbnis kaufen wollten. Wer aber beschreibt die Länge seines Gesichtes, als der „tote” Jupp nach einigen Tagen quietschvergnügt wieder zur Arbeit erschien. Und da kam alles heraus: Die Bergleute hatten ihrem Steiger einen Streich gespielt und sich mit dem Gulden und dem kranken Jupp ein paar feuchtfröhliche Stunden gegönnt, die der Gesundung des Jupp anscheinend sehr dienlich geworden waren.

Der Steiger machte gute Miene zum bösen Spiel. Den Gulden sah er nicht wieder.

¹) Der Schmitz Josef ist gestorben.

Ich benn d’r Jann (Toni André)

Er hieß Johann, aber alle nannten ihn nur Jann. Wegen eines Unfalls auf der Grube Maria Hauptschacht konnte er nicht mehr untertage arbeiten. Man gab ihm eine „Stelle” - so sagte man früher, wenn einer nicht mehr untertage eingesetzt werden konnte - an der Ausgabe der Deputatkohle. Hier holten Bergleute oder deren Ehefrauen mit Handwagen selbst ihr Deputat¹ ab.

Wir Kinder waren stolz, wenn wir in den Ferien mit zur Grube durften. Auf dem großen zugänglichen Zechenplatz gab es für uns stets viel zu sehen - natürlich alles aus einer gewissen Distanz. Am meisten imponierte immer die gewaltige Staubwolke, wenn die Kohlen durch einen kleinen Schacht mittels Kippvorrichtung aufgeschüttet wurden. Genauso interessant fanden wir die Anlieferung der großen Holzstämme zum Holzplatz.

Das Deputat bestand aus Kohlengrieß, später gab es Nusskohle, Eierkohle oder Koks. Man löste dazu einen Bon am Kohlenschalter aus und ging damit zur Deputatausgabe. Den Handwagen hatte man vorher in die Reihe gestellt, weil die Schlange der Abholer stets riesenlang war. Man sagte irgendeinem Bekannten Bescheid, er solle den Handwagen näher ziehen, wenn die Kolonne aufrücken würde. Wenn eines von uns Kindern dabei war, musste es natürlich diese Aufgabe übernehmen.

Das Deputat wurde in große Behälter gefüllt und nicht gewogen. ln einen Behälter passte ein Scheffel² Kohle. Es wurde mittels einer Schaufel von Hand verladen und von zwei Leuten - von Jann und einem der Abholenden - in den Handwagen gekippt. In späterer Zeit hing der Behälter an einem Stahlgerüst mit Kippvorrichtung, so dass ihn nur noch eine Person zu bedienen brauchte.

Unser Wagen fasste vier Scheffel, also etwa zwei Zentner. Damit man im Winter auch einmal den Küchenherd richtig auf Hitze treiben konnte, bekam man zum Schluss noch ein paar dicke Brocken, Knabbe genannt, obenauf gelegt, allerdings nicht ganz umsonst. Man drückte Jann still ein Geldstück in die Hand, meistens waren es fünfzig Pfennig oder, wie man hier sagte, e Krännsche.

Als Jann einmal in Urlaub war, stand ein Vertreter an der Ausgabe. Die Leute wussten nicht, ob sie ihm auch etwas in die Hand drücken konnten, ohne dass sie Jann hereingerissen hätten. Das hätte böse Folgen haben können. Aber spätestens beim Verladen des ersten Scheffels wusste man, dass ohne Trinkgeld nichts ging. Still sagte der Vertreter zu jedem: „Isch benn nuh heij d'r Jann!”³ - und hielt still seine Hand auf. Nun gab es auch wieder Knabbe gratis und einen Scheffel obendrauf.

Ob wohl jemals ermittelt wurde, wieviel Schicht- oder Tagesfördermengen im Laufe der Jahrzehnte illegal den Zechenplatz verlassen haben?! - Es muss eine Unmenge gewesen sein.

¹) Entlohnung in Naturalien
²) altes deutsches Hohlmaß
³) Ich bin nun hier der Johann.

Die Fördermaschinistin (Kurt Zelewski)

In Duffesheide, heute ein Ortsteil der Stadt Alsdorf, wurden von 1890 bis 1905 die Schächte der Grube Gemeinschaft geteuft. Die Teufberge kann man heute als eine kleine bewachsene Halde an der Straße von Alsdorf nach Bardenberg erkennen. Das Schachtgerüst und die wenigen Aufbauten der Grube wurden 1994 abgerissen, die Schächte verfüllt.

Auf der kleinen Grube wurden nie Kohlen gefördert, die untertägigen Grubenfelder erschloss man von den Gruben Gouley und Anna aus. Der Schacht diente aber über Jahre als Wetterschacht. Große Ventilatoren waren im Einsatz und zogen hier die verbrauchten Wetter aus den untertägigen Grubenbauen. Auch wurde von der tiefsten Sohle dieser Grube das Grubenwasser nach übertage gepumpt. Wetterführung und Wasserhaltung waren die vornehmlichen Aufgaben der Grube Gemeinschaft.

Eine kleine Fördermaschine war eingesetzt, um gelegentlich Materialien nach untertage zu transportieren oder auch Bergleute nach übertage oder von übertage nach untertage zu befördern. Für diese gelegentlichen Arbeiten versah ein Maschinist, der mit seiner Familie in einem Haus in Grubennähe wohnte, seinen Dienst. Selbst in der Nacht, wenn ein Signal vom Schacht ertönte, stieg der Maschinist aus seinem Bett, ging zum Fördermaschinenhaus und bediente die Fördermaschine zum Materialtransport oder zur Seilfahrt.

Mit der Zeit hatte es sich aber ergeben, dass, wenn der Maschinist erkrankt war oder wenn er am Abend eine zu lange Zeit in einer Gaststätte verbracht hatte, seine Frau die verantwortungsvolle Aufgabe an der Fördermaschine versah.

Die Grubendirektion wusste davon natürlich nichts. Aber die Bergleute, die am Schacht Gemeinschaft ans Tageslicht fuhren, waren informiert und zeigten Verständnis für den Maschinisten, für seine Erkrankungen und sein Schlafbedürfnis nach einem fröhlichen Bierabend. Gaben diese Bergleute von untertage ein Signal zur Seilfahrt, ruckte dann bei der Auffahrt der Korb hart an, sagten die Kumpels zueinander. „Wenn dat märr jott jeht, et Lies steht at wörrem en et Naatshämp an de Masching !”¹

¹) Wenn das nur gut geht, die Liese steht schon wieder im Nachthemd an der Maschine!

Kündigung

„Für Glaube, Sitte und Heimat”, so lautet der Leitspruch aller Schützenbrüder seit altersher auch in unserem Revier. Früher achtete man besonders auf Einhaltung der Regeln, denen sich ein Schützenbruder unterwarf, wenn er in die Gemeinschaft eines Vereins aufgenommen war. Der Pfarrer des Dorfes oder Ortsteiles war als Präses des Schützenvereins die strenge und letzte Instanz, die darüber entschied, ob ein Vereinsmitglied Schützenbruder bleiben, ob er am Wettkampf mit dem Gewehr oder der Armbrust um die Ehre des Schützenkönigs teilnehmen durfte.

Jupp, ein Bergmann auf Anna II in Wilhelmschacht, kümmerte sich als Gewerkschaftler engagiert um die Belange seiner Bergmannskollegen. Dafür erfuhr er große Anerkennung. Er war angesehen, dies auch bei seinen Schützenbrüdern. Als der Bergmann Jupp sich aber der Sozialdemokratischen Partei anschloss und dann sogar als Sozialdemokrat Mitglied des Rates der Gemeinde wurde, grüßten ihn manche nur noch verhalten, viele Gläubige der katholischen Pfarre begegneten ihm mit Skepsis und sogar mit Ablehnung.

Das Schützenfest rückte näher, die Schützenbrüder trafen sich nach Feierabend zum Wettstreit um die Königsehre. Auch Jupp erschien in der Schützentracht auf der Wiese, in deren Mitte auf einer hohen Stange der Vogel, ein aus dicken Brettern gezimmertes ovales Gebilde mit Flügeln, Vogelhals und Kopf, befestigt war.

Von seinen Schützenbrüdern wurde Jupp herzlich begrüßt. Der Ortspfarrer aber nickte ihm ernst zu und fragte streng: „Ich habe Sie an den Sonntagen vor Ostern nicht in der Kirche gesehen. Haben Sie die ,österliche Zeit' gehalten, sind Sie beichten gewesen und haben Sie Ostern selbst die Kommunion empfangen?” - „Sicherlich”, antwortetet Jupp' „nicht hier in der Kirche war ich, sondern in der Nachbarpfarre!”

Alle sahen dem sonst so friedlichen Jupp den Ärger darüber an, dass er so bloßgestellt wurde. Sein Gesicht färbte sich rot. Kerzengerade stand er vor dem Pfarrer, jeder spürte seine wachsende Wut. „Dafür müssen Sie hier und sofort Zeugen benennen, sonst dürfen Sie am Vogelschuss nicht teilnehmen!” fuhr der Pfarrer fort.

Da löste sich die Starrheit des Bergmannes, die Farbe wich aus seinem Gesicht, er hatte seinen Entschluss gefasst. Den Pfarrer lächelte er mit einem Heben der Schultern an, nahm seinen Schützenhut vom Kopf und bugsierte ihn in einem leichten Bogen vor die Füße des Geistlichen. Dabei meinte er: „Dä' do hat Ihr d'r Hott, ich benn us de Schötze!”¹ - drehte sich auf dem Absatz um und ging nach Hause.

¹) Da, da habt Ihr den Hut, ich bin aus den Schützen!

Der neue Vorarbeiter (Hein Küsters)

Fast zwanzig Jahre arbeitete Franz schon als Übertageschlosser auf „Anna”. Er war fleißig, pünktlich und wäre im Krankheitsfalle sogar mit dem Kopf unter dem Arm zur Arbeit gegangen. Eines Tages ging dann sein größer Wunsch in Erfüllung. Der Meister hatte ihn zum Vorarbeiter befördert.

Am anderen Morgen stand Franz in einem nagelneuen weißen Arbeitsanzug und mit Notizbuch und Bleistift in der oberen Jackentasche wie auf dem Präsentierteller neben der Stempeluhr, damit ihn auch jeder bewundern konnte.

Während der ganzen Schicht aber war nun angeblich immer etwas im Betrieb an den Maschinen kaputt, und mit verstecktem Grinsen hinter vorgehaltener Hand riefen die Arbeiter von allen Seiten nach dem neuen Vorarbeiter. Bei Schichtende war der Franz schweißgebadet, und sein vorher schneeweißer Anzug bestand nur noch aus Öl und Fett. Aber er hatte seine Lektion gelernt und erschien deshalb am nächsten Morgen wieder in seinem „Blaumann”, und die Maschinen liefen auch wieder störungsfrei.

Die Bombe jedoch platzte einige Tage später, als jemand an der Haustür vom Franz das neue Messingschild entdeckt hatte, auf dem stand: „Franz Schmitz, Vorarbeiter beim EBV”

Bachrauschen (aus: „de Kull”)

Aus Bayern war ein Mann ins Aachener Revier gekommen. Nur schwer konnte er sich mit seinen Arbeitskameraden auf der Grube verständigen. Als Ur-Bayer sprach er den Dialekt seiner Heimat, bergmännische Fachausdrücke waren ihm als einem Neubergmann gänzlich fremd. So hatte der Bayer es schwer. Er wurde oft gehänselt, über seine Art zu sprechen musste er manchen Spott ertragen.

Der Bayer musste einen mit Ausbaumaterial beladenen Wagen durch den Querschlag zu seinem Revier schieben. Das war eine schwere Arbeit, denn die Gleise waren an vielen Stellen nicht mehr in Ordnung, sie waren durch den Gebirgsdruck, der sich auch auf die Streckensohle auswirkt, angehoben oder auch verbogen. Oft drohte der Wagen zu entgleisen und vielleicht in den Wassergraben, der am Stoß des Querschlages entlangführte, zu kippen.

Kurz vor dem Ziel geschah es dann. Der Wagen entgleiste und stand mit zwei Rädern im Wassergraben, der sogenannten „Sou”. Eilig lief der Bergmann zum Steiger und meldete dienstbeflissen sein Missgeschick: „Herr Steiger, da hinten, wo's Bächle rauscht, ist mir a Wägle nei'g'hupft!”¹

¹) ..., wo das Bächlein rauscht, ist mir ein Wägelchen hineingehüpft.

Steiger Ochs (Annemie Vergöls)

Fast alle Bergleute, besonders untertage, hatten einen Spitznamen. So wurde der Lehrhauer eines Drittels „Mang” genannt. Das hatte sich dadurch ergeben, dass der Lehrhauer einmal mit einem Tragekorb, einer „Mang”, zur Grube kam, um seine Arbeitskleidung von dort mit nach Hause zu nehmen.

Steiger Ochs kam nach vor Ort. Er hatte wohl schlechte Laune und schimpfte sofort los. Die Leistung der Mannschaft reichte ihm nicht, die Baue standen nicht in der Stunde, der Verzug war mangelhaft. Langsam geriet der Ortsälteste in Wut und wehrte sich gegen die Vorwürfe des Steigers.

Nachdem die Arbeit wieder etwas fortgeschritten war, der Steiger, am Streckenstoß angelehnt, die Leute beobachtete, die Situation hatte sich insgesamt beruhigt, schickte der Ortsälteste den Lehrhauer zur Gezähekiste, Kautabak zu holen. Mit einem Stück Kautabak glaubte er wohl, den Steiger beruhigen zu können.

Als Steiger Ochs sah, dass der Lehrhauer wegging, fragte er laut und vorwurfsvoll: „Wo jeht die ,Mang' hen?”¹ - Der Ortsälteste war auch darüber sofort wieder wütend und antwortete schlagfertig: „Fooch holle för der Oos!”²

Selbst erschrocken über seine Schlagfertigkeit, war der Ortsälteste ganz still. Auch die Mannschaft schwieg. Der Steiger nahm dem Lehrhauer die Priemdose aus der Hand. Er reichte sie allen. Jeder bediente sich. „Dann losse wier oss wier verdrare!”³ sagte leise der Steiger, drehte sich um und ging.

¹) Wo geht die Mang" hin?
²) Futter holen für den Ochsen!
³) Dann lassen wir uns wieder vertragen!

Nüüß (Gustav Lauer)

Der Rohrschlosser Jakob Altdorf wurde am Ende seiner „Botteramspause”¹ am Umtrieb eines Stapels sitzend vom Maschinensteiger Stevens überrascht. Der fragte ihn: „Altdorf, wat mahts du heij?”² Dessen Antwort: „Nüüß!”³ Rückfrage des Steigers: „Wie nüüß?” Darauf Schlosser Altdorf: „Dat set Ühr doch, ich mach nüüß!*

Verärgert drehte sich der Steiger um und fragte den gerade dazutretenden Lehrjungen: „En wat mahts Du?”**

Dessen prompte Antwort: „Ich help der Altdorf!”***

Mit einem kräftigen „Leckt-mich-am-Arsch!” entfernte sich der Steiger.

¹) Butterbrotpause
²) Altdorf, was machst Du hier?
³) Nichts!
*) Das seht Ihr doch, ich mach' nichts!
**) Und was machst Du?
***) Ich helfe dem Altdorf

Der „Bagger”

( aus: Heimatblätter des Landkreises Aachen - Heft 1/1937)

Da ist einer auf dem Büll¹ gewesen, der muss eine furchtbar große Klappe gehabt haben. Den haben sie den „Bagger” genannt, weil er für jeden Dreck das Maul aufgerissen hat, wie es auch ein Bagger tut. Der „Bagger” hat alles besser gewusst, alles besser gekannt, wenn man ihn nur reden hörte.

Vor dem Teufel hat der „Bagger” keine Angst gehabt, nie, das hat er hundertmal beteuert. Aber ein Schisser sei er doch gewesen, wird erzählt. Das wussten die kleinsten Schleppjungen vom ganzen Pütt². Einmal haben sie, weil sie sich über den Großredner so ärgerten, ein Spielchen mit ihm getrieben: Auf Strecke 6 oder 7 - die Nummer tut nichts dran - haben die Burschen aus Papier einen Knochenmann geschnitten: den Totenschädel, den Rippenkasten, Arme und Beine. Am Ende des Hauptstollens, da, wo die Bewetterung so bläst, haben sie das Skelett an einen Pfahl genagelt. In dem Luftzuge nun gingen die Glieder hin und her. Die Arme fuchtelten in der Luft, und die Beine strampelten aufgeregt zwischen dem Gebälk und unten im Wassergraben.

Da latschte vom Schacht großspurig der „Bagger” geradenwegs auf den Förderort zu. Er lief dem Tod direkt in die Arme. Er schaut das Gerippe - starrt - macht kehrt, so schnell er kann, stößt sich am Deckholz eine blaue Beule, stolpert und fliegt in den Schlamm des Grabens. Er springt auf und rennt dem Ausgang zu. Dort aber haben ihm die Jungen einen zweiten Tod auf die Wettertür gehängt, wieder macht der „Bagger” kehrt, weiß nicht zurück und weiß nicht vor und steht mit schlotterndem Gebein.

Da bricht ein Hohngelächter los. Der „Bagger” meint, die Hölle sei hinter ihm her. Er schreit um Hilfe.

Zwei Schlepper haben sich vermummt und tragen von vorne und von rückwärts die beiden Totenskelette auf den Armen zu. Er sieht im dunklen Stollen nicht die schwarzen Kumpels, um so mehr die bleichen Schimmer des Gebeins. Wieder tönt und donnert es: „Juuuuu, juhuuuuu, hii ii i!” durch den Stollen bis zum Bremsberg hin. Das Geschrei ließ plötzlich nach; aber furchtbarer war dies, es erhob sich weither eine heisere Stimme; nah und näher kam sie, wurde verständlich, und hohl klang es durch die Wölbungen unter Tag: „Baager, Baager, duck dich!” Der „Bagger”, in Todesangst, tut, was der Rufer verlangt. „Baagen deck die Augen zu, dass du die kommenden Schrecken nicht siehst!” Auch das befolgte en „Baager, bind ein Tuch um deinen Mund! Baager, rühr dich nicht vom Platze, bis wir wiederkommen!” In allem war der „Bagger” willig. Die Todgestalten zogen sich zurück, so, wie sie gekommen, mit „huiiiiiijjj, juhuuujjj”. Fort waren sie an ihre Arbeit. Denn bald musste der Betriebsführer kommen.

Wahrhaftig, der fand den armen „Bagger” so sonderbar vermummt mitten im Wege sitzen. Erst war er sprachlos, fand aber bald den altgewohnten Ton zurück: „Dat Dich der Düvel kritt, Du Fullisch, heäsch dat jewerkt? Ich sall Dich liere! Du Mullejan!”³ Das hat der „Bagger” nicht alles mehr gehört, er war auf und davon an seinen Arbeitsplatz.

Von der Zeit an war seines Bleibens nicht länger mehr auf dem Büll. Er hat seinen Herrn gewechselt und konnte nun bei anderen Kumpels wieder eine große Klappe gebrauchen.

¹) Grube Nordstern
²) Grube, Zeche
³) Dass Dich der Teufel kriegt, Du Faulenzer, heisst das gearbeitet? Ich werde Dich lehren! Du Maulheld!

Der Ausländer (Hein Küsters)

Auf den Gruben des Reviers waren Menschen aus vielen Gegenden und Nationen beschäftigt. Die Hiesigen kannten sich. Ihnen war die Sprache, der Dialekt gemeinsam. Wenn sie den zugezogenen Bürgern auch nicht unfreundlich begegneten, so hielten die Würselener, Kohlscheider, Merksteiner usw. doch mehr zusammen. Die anderen waren eben alles Auswärtige und Zugezogene. Von daher versteht sich auch folgende Begebenheit:

Auf einem Kontrollgang durch das Revier kommt der Betriebsführer vor Ort zur Kopfstrecke. Er spricht den Ortsältesten des Drittels an und fragt: „Wer es he an et Werke?”¹ Präzis kommt die Antwort: „Zwei Dütsche on enne Westfälinger.”²

¹) Wer ist hier am Arbeiten?
²) Zwei Deutsche und ein Westfale.

Die Bergassessoren (Friedrich Ebbert)

In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts war eine große Anzahl von Bergassessoren auf den Gruben und Verwaltungen des Eschweiler Bergwerks-Vereins beschäftigt. So auch auf dem Verbundbergwerk Anna/Adolf. Der Bergwerksdirektor und der Betriebsdirektor waren Bergassessoren, in der Stabsstelle wurden mehrere Bergassessoren beschäftigt, und selbst untertage wirkten einige jüngere Bergassessoren als Fahrsteiger, damit sie weitere praktische Erfahrungen sammeln konnten, um später auf anderen Ebenen des Unternehmens eingesetzt werden zu können.

Natürlich waren in den Stäben und Betrieben auch Bergschulabsolventen und Diplom-lngenieure in Aufsichts- und Leitungsfunktionen tätig. Daraus ergab sich vielfach, dass Bergschulabsolventen den Diplom-lngenieuren und Assessoren eine wie auch immer geartete Geringschätzung entgegenbrachten, dass sie auf „Diplömer” und Assessoren nicht immer gut zu sprechen waren. Es wäre aber unfair zu sagen, es träfe so auf alle zu. Die meisten, welcher Ausbildung auch immer, waren anständige und kameradschaftliche Bergleute, mit denen stets eine für den Betrieb gedeihliche Zusammenarbeit möglich war.

Ende 1962 wurde die Förderung auf der Grube Carolus Magnus in Übach-Palenberg eingestellt. Ein dort als Betriebsingenieur und Direktionsassistent tätiger Assessor sollte als Fahrsteiger untertage nach Anna kommen. Dieses Ereignis wurde von dem damaligen Leiter des Untertagebetriebes - einem Diplom-lngenieur - zum Anlass genommen, seinen leitenden Angestellten beim „Frühgebet”, der allmorgendlichen Besprechung vor der Grubenfahrt, folgendes mitzuteilen: „Kameraden, ab nächsten Monat müssen wir noch ein paar Schüppen drauflegen, also noch mehr Kohlen fördern und die Leistung steigern; denn wir bekommen noch einen Bergassessor dazu!”

Zu dieser Zeit erzählte man sich unter den Steigern auch folgende Geschichte:

In Alsdorf gastierte der Zirkus Krone mit einer sensationellen Löwennummer. Der Leitlöwe verschwand täglich aus seinem Käfig, war aber zur Abendvorstellung pünkülich, aber vollgefressen, wieder bei seinen Artgenossen. Nach ein paar Tagen fragten diese den Leitlöwen: „Chef, wo läufst Du immer hin und kommst abends vollgefressen wieder?” Darauf die Antwort: „Ich springe auf Anna immer über die Zechenmauer, schnapp mir einen Bergassessor und verspeise ihn genüsslich.” Darauf die anderen im Chor: „Fällt das denn nicht auf?” „Nee”, brüllte darauf der Leitlöwe, satt gähnend, „die haben so viele davon, wenn da einer verschwindet, merkt das niemand!"

Fröseln (Walter Esser)

Pünktlich zu einer bestimmten Zeit fanden sich jeden Tag der Vorarbeiter Max und seine vier Kinder am Abendbrottisch ein, den die Hausfrau liebevoll gedeckt hatte. Das war besonders an Wochenenden ein Ritual. Der Tisch war reichlich gedeckt. Brot und Marmelade standen selbstverständlich ausreichend zur Verfügung. Für das Wochenende hatte die Mutter ein süßes Weißbrot gebacken. Auch Käse und einige Scheiben Wurst waren gekauft. Bratkartoffeln waren zubereitet, ihr appetitlicher Duft füllte die Küche. Radieschen aus dem Garten standen geputzt in einer Schüssel auf dem großen Küchentisch. Aus Äpfeln zubereitetes Kompott stand als Brotaufstrich bereit. Eier waren gekocht und in Scheiben geschnitten.

Wurde bei Max das Abendessen pünktlich begonnen, fanden sich alle zur gegebenen Zeit ein, so erschien auch regelmäßig und pünktlich die schon ältere Tante des Vorarbeiters: „Lott üch nett stüere, ich setz mich märr jätt an d'r Döisch, eiß ävver nüüß! - Ich frösel märr e bessje met!”¹ sagte die Tante, setzte sich, nahm ein Stückchen Brot, dann etwas Wurst, aß eine halbe Scheibe Käse, zwei kleine Radieschen, kaute sie, wartete etwas, nahm einen Löffel der Bratkartoffeln, zwei Brotkrümel nahm sie mit spitzen Fingern von der Tischplatte und steckte sie in den Mund, brach von einer zweiten Scheibe Brot eine Ecke ab, legte auf das Brotstückchen ein wenig Käse und schob es in ihren Mund, aß noch ein Radieschen; mit einem Brotrest tauchte sie in das Kompott und führte beides zum Mund, mit dem Löffel des jüngsten Kindes versuchte sie, von den Bratkartoffeln noch einen Rest aus der Schüssel zu erreichen. Nahm dazu eine Scheibe der gekochten Eier.

Da schlug Max mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Erschrocken schauten ihn seine Frau, die Kinder und auch die Tante an. „Dings du märr emol richtisch eiße”, sagte Max zur Tante, „van dat Frösele bes du och esu deck wuede!”²

¹) Lasst euch nicht stören, ich setze mich nur ein wenig an den Tisch, esse aber nichts! - Ich frösele nur ein bisschen mit!
²) Tätest du nur einmal richtig essen, von dem ,Fröseln' bist du auch so dick geworden!

Erkannt (Toni André)

Gerhard kam aus dem Ruhrgebiet in das Aachener Wurmrevier. Er war Hauer und erhoffte sich hier, eine Familie zu gründen. Glück hatte er, dass er gleich bei einem Arbeitskollegen Logis¹ fand und nicht im Ledigenheim zu wohnen brauchte. Er lernte dann auch Berta, eine junge Witwe, kennen, deren Mann im Bergbau auf Maria Hauptschacht tödlich verunglückt war. Aus dieser Ehe war ein Söhnchen hervorgegangen. Die jungen Leute verliebten sich ineinander.

Eines Tages wollten sie zusammen in die Stadt nach Aachen fahren. Gerhard fuhr los, um Berta, wie vereinbart, in deren Wohnung abzuholen. Er klingelte, und als die Tür geöffnet wurde, stand der kleine Sohn vor ihm. Gerhard fragte: „Ist deine Mutter zu Hause?” Der kleine Stropp bemusterte ihn von oben bis unten. Er erinnerte sich wohl daran, dass er diesen Mann schon einmal gesehen hatte. Und schwarze Augenränder hatte er auch damals gehabt. Dann schoss es wie aus der Pistole aus seinem Mund. „Ja, Mutti ist da, aber wenn sie dich sieht, sagt sie bestimmt: ,Was ist denn das für ein schwarzer Neger?'” und bumms, war die Tür wieder verschlossen.

Die Fahrt nach Aachen fand statt, man kam sich näher, Mutti bekam den Gerhard später als Ehemann und Toni wieder einen guten Vater.

Gezähebon

(aus: Heimatblätter des Kreises Aachen - Heft 1/1937)

Et Wietzje¹ mochte bei jener Beförderung an Blücher gedacht haben, der zu seinem Amt auch nur seiner Taten wegen kam und nicht irgendwelcher Zeugnisse oder Befürwortungen wegen, der sogar des rechten Sprechens und Schreibens ziemlich unkundig gewesen ist.

Sei es, wie es sei: Andreas wurde gebraucht, wo Not am Mann war, eine Strecke gebrochen, ein Stollen versoffen oder so.

Einst sollte er mit einigen anderen einen Bruch aufräumen, sie hatten aber kein Gezähe². Andreas hat damals folgenden Bon ausgeschrieben, mit dem im Magazin das nötige Material geholt werden sollte:

An Gezüch: Banneschavel, dicke Dötzer, Takegite, Fuser. Üer wesst Besched!³

¹) Betriebsführer Wiertz
²) Werkzeug
³) An Werkzeug: Pfannenschaufel, dicker Hammer, Kreuzhacke, Fausthacke. Ihr wisst Bescheid!

Einsicht (Günther Wolf)

Mit dem Personenzug ging es durch die Schachtquerlinie bis zur Abzweigung des vierten und fünften Querschlags. Wir fuhren durch den fünften Querschlag zur Ladestelle. Dort ausgestiegen, mussten wir einen Förderberg zur 710-Meter-Sohle hinunter. Hier war ein Großförderband eingebaut. Um den Höhenunterschied von der 650-Meter-Sohle zur 710-Meter-Sohle einfacher überwinden zu können, wollten wir auf dem Förderband, welches stillstand, hinunterrutschen. Darin hatten wir Erfahrung.

Auf das Förderband wurde der Wasserschlauch gehalten. Mit einem Stück Holz unter dem Hintern konnte man über das nasse Band leicht nach unten rutschen. Dabei war Vorsicht geboten. Fast unten, wo die Strecke söhlig verlief und dann wieder anstieg, bildete das Förderband eine Mulde. Das Wasser sammelte sich hier. Bei der Schlittenpartie nach unten musste man also vor diesem See abbremsen und vom Band springen.

Unserer Kolonne war ein neuer Mann zugeordnet. „Soll ich dich verzälle, wie et jeht?”¹ fragte unser Ortsältester den Neubergmann. „Für solche Spielereien brauche ich keine Gebrauchsanweisung!” kam die überhebliche Antwort in Hochdeutsch.

Zuerst stieg der Ortsälteste aufs Band und sauste gekonnt nach unten. „Jetzt du!” rief er mir unten, auf der Bandkonstruktion stehend, zu. In weniger als einer Minute war auch ich unten, sprang kurz vor der Wasseransammlung vom Förderband. „Jetzt du!” wiederholte derb der Ortsälteste seinen Befehl.

In schneller Fahrt rutschte der Neue über das Band - und sauste in den kleinen See. Das Wasser zischte ihm durch die Hosenbeine, Hemd und Jacke waren nass bis zum Kragen. Er schaute uns an und sagte: „Ich muss doch noch vieles lernen!”

¹) Soll ich dir erzählen, wie es geht?

Gefährlich und verboten! (Friedrich Ebbert)

Viele der Mitarbeiter im Steinkohlenbergbau waren Gastarbeiter, die aus vielen Ländern unserer Mutter Erde zu uns ins Revier kamen. Bevor sie in den Betrieben unter- und übertage eingesetzt werden konnten, mussten sie soviel von der deutschen Sprache lernen, dass es nicht zu sicherheitlich bedenklichen Situationen wegen Verständigungsschwierigkeiten im Betrieb kommen konnte. Es wurden daher betrieblicherseits Sprachschnellkurse für ausländische Mitarbeiter abgehalten.

Nach Beendigung eines Kurses erfolgte eine Abschlussprüfung, bei der sich die Kandidaten als soweit der deutschen Sprache mächtig erweisen mussten, dass sie risikofrei den Betrieben zur Aufnahme ihrer eigentlichen Arbeit zugeteilt werden konnten.

Dieser Abschlussprüfung wohnten in der Regel der technische Betriebsdirektor, der Personaldirektor und ein Vertreter des zuständigen Bergamtes bei. Großer Wert wurde bei den Fragen, die der Lehrgangsleiter an die Prüflinge stellte, bezüglich der Sicherheit in den Betrieben gelegt. Um kein Risiko einzugehen und auf die speziellen Fragen auch die richtigen Antworten zu bekommen, vereinbarte der „Sprachlehrer” mit seinen ihm anbefohlenen „Schützlingen” folgende Regel:

„Immer wenn ich frage: ,Ist es erlaubt, im Panzer zu fahren?' sagt ihr: ,Nein, es ist gefährlich und verboten!' ,Ist es erlaubt, auf Kohlen-, Berge- oder Materialwagen mitzufahren?' sagt ihr: ,Nein, es ist gefährlich und verboten!' ,Ist es erlaubt, untertage zu rauchen?' dann sagt ihr: ,Nein, es ist gefährlich und verboten!'”

„Wenn ich aber frage: ,Dürft ihr nach vor Ort gehen, wenn der Sprengmeister es freigegeben hat?' oder: ,Dürft ihr bei der Sprengarbeit helfen?' oder: ,Dürft ihr auf einem Förderband fahren, das dafür eingerichtet ist?' dann sagt ihr immer: ,Ja!”'

Am Tage der Prüfung im Beisein des Herrn Bergrates stellte der Lehrgangsleiter wie vereinbart seine Fragen: „Ist es erlaubt ...?”, - „Ist es erlaubt...?” Prompt kam die richtige Antwort: „Nein, es ist gefährlich und verboten!” „Dürft ihr ...?” -„Dürft ihr...?” Prompt kam die Antwort: „Ja, wir dürfen!” - Alles klappte wie am Schnürchen.

Nun meldete sich aber nach einer gewissen Zeit der Bergrat zu Wort, der sehr aufmerksam zugehört und wohl erkannt hatte, wie die Regeln vereinbart waren. Er bat den Lehrgangsleiter, auch einmal eine Frage stellen zu dürfen. Der Bergrat fragte: „Ist es erlaubt, unter Tage zu arbeiten?” Alle Lehrgangsteilnehmer riefen einstimmig und im Brustton der Überzeugung dem Bergrat zu: „Nein, es ist gefährlich und verboten!”

Folgen des Winterkirmes (Rudolf Hilger)

Der Königliche Bergrat Vohs setzte am 18. Mai 1881 gegen zehn Uhr auf der Erzgrube bei Venwegen eine Förder- und Wasserhaltungsmaschine in Betrieb. Bürgermeister Hochstenbach von der Gemeinde Kornelimünster wurde als Ehrengast eingeladen. Die Inbetriebnahme einer solchen Maschine war zu dieser Zeit schon ein besonderes Ereignis, welches gebührend gefeiert wurde. Es war der Beginn des technischen Zeitalters. So vermerkt denn auch der Bürgermeister in einer Aktennotiz vom 19. Mai 1881 kurz und bündig, dass er „der Inbetriebnahme beigewohnt habe”. Bei Preußens musste alles seine Richtigkeit haben.

Die Einheimischen bezeichnen die Stelle, wo im vorigen Jahrhundert nach Erz geschürft wurde, mundartlich „aje Berchwerek”¹. Die amtliche Flurbezeichnung lautet „Zu den Maaren”.

Der heute 73-jährige Heinz Vandeberg aus Venwegen erinnert sich: „Meine Großmutter Maria Rütgers erzählte, dass in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts die Erzgrube bei Venwegen während der Winterkirmes abgesoffen sei. Das Patrozinium² der heiligen Brigida, der Pfarrpatronin Venwegens, wurde auch abends in der Dorfkneipe Kogel, später Roßkamp, zünftig gefeiert Die Bergarbeiter der nahen Erzgrube, die während der Nacht die Dampfmaschine beaufsichtigen mussten, machten sich auf den Weg in die nahe Dorfkneipe, um sich einige Kirmesschnäpse einzuverleiben. Doch bei einem Schnaps blieb es nicht. Sie zechten bis Mitternacht, um dann wieder den Arbeitsplatz aufzusuchen. Doch was stellten sie fest?! - Die Dampfmaschine stand still! Die Grube war abgesoffen!"

Der Königliche Bergrat wird wohl ein kräftiges Donnerwetter über die ,Trunkenbolde' losgelassen haben.

¹) am Bergwerk
²) Fest der Ortsheiligen

Das Nachrichtensystem (Manfred Howitz)

Der Blaue war nicht etwa ein Geldschein gleicher Farbe, sondern der Spitzname für den Betriebsführer der Grube Adolf. Den Beinamen hatte er erhalten, weil er rötliches Haar hatte, oder auch, weil er zu gegebenen Anlässen, deren gab es viele, gerne dem Schnaps zusprach und oft „blau” war. Nun, das war nichts Besonderes, zumal die Bergleute jener Zeit nach harter Arbeit gerne einen gehoben haben.

Der Betriebsführer hatte wieder einmal im Kasino Adolf die Nacht durchgezecht. Anderentags stand eine Grubenfahrt mit anschließender Inspektion verschiedener Betriebspunkte an.

Erwähnt sei noch, dass es untertage ein gut funktionierendes, aber inoffizielles Nachrichtensystem gab. Sobald eine Führungsperson sichtbar wurde, gab man an alle neuralgischen Stellen Alarm weiter.

Nach durchzechter Nacht konnte man keine Bäume ausreißen und hatte absolut keine Lust einzufahren.

Das Nachrichtensystem war dem Betriebsführer natürlich bekannt, er machte sich dies gelegentlich zunutze. Er begab sich zur Markenkontrolle, dort befand sich auch die Telefonzentrale. Mit verstellter Stimme rief er nun die einzelnen Betriebspunkte an, die er ursprünglich inspizieren wollte. Er sagte nur: „Jonge passt opp, d'r Blaue kütt!”¹ Schmunzelnd schob er hinterher: „So, da brauch ich nicht hin.”

Wie erwartet, wurde nach diesem Alarm an allen Betriebspunkten emsig geschippt und gehämmert. Eine gute Leistung der Belegschaft war erreicht.

¹) Jungen, passt aut der Blaue kommt!

Beförderung

(aus: Heimatblätter des Land Kreises Aachen Heft 1/1937)

Ein anderes Mal ließ et Wietzje¹ folgendes geschehen: Über den Zechenplatz ging ein Bergmann seiner Verrichtung nach. Er war allein; weit und breit war niemand zu sehen, und der Mann konnte nicht wissen, dass vom Fenster einer Dachluke her der Betriebsführer ihn beobachtete. Da lag eine Schraube im Weg, ein Stück Eisen, nur einen oder wenige Pfennige wert. Hundert oder tausend Füße hatten darauf getreten oder waren achtlos darüber hinweggeschritten. Der Mann sah es, hob es auf, warf es auf die Sammelstelle für Altmaterial und ging seines Weges weiter. Wie wunderte er sich, als er noch am gleichen Tage dieser Schraube wegen vom „Jeck”¹ angesprochen wurde. Und wieviel mehr noch ärgerten sich die 2999 anderen Kumpels, dass sie nicht das Stück Eisen besorgt hatten, denn der 3OOOste, der es, ohne viel dabei zu denken, getan, wurde sofort in den Rang eines Steigers befördert.

¹) Betriebsführer Wirtz

Pannav

Der Lohn eines Bergmanns ließ besonders in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg nicht zu, dass der Tisch für die Familie reich gedeckt war. So waren Bratkartoffeln, mit wenig Fett, aber vielen Zwiebeln zubereitet, das gewohnte tägliche Mittagsmahl. Nur selten wurde ein kleines Stück Speck oder Wurst mitgebraten.

Die Frau des Kohlenhauers Köb¹ aus Mariadorf aß mit ihren fünf Kindern an Werktagen ohne ihren Mann zu Mittag, denn die Schicht für Köb dauerte lange, so dass er erst am Abend nach Hause kam. Um sich ihre Arbeit zu erleichtern, briet die Frau den Anteil Kartoffeln für ihren Mann in der großen Pfanne gleich mit. Nachdem die Kinder sich an den Tisch gesetzt hatten, stellte sie die große eiserne Bratpfanne in die Tischmitte, und alle aßen mit ihrem Löffel direkt aus dem heißen Geschirn. Vorher teilte die Frau mit einem Holzlöffel für jeden eine Portion ab. Etwa ein Drittel des Pfanneninhalts war dabei für den Vater bestimmt, für den am Abend die Kartoffeln nochmals aufgewärmt wurden.

Der Hunger der Kinder war immer größer als die ihnen zugeteilte Portion. Sie kratzten deshalb mit ihren Löffeln den Boden der Bratpfanne aus und versuchten dabei, wenn die Aufmerksamkeit der Mutter einmal nachließ, sogar ein Kartoffelstückchen vom Teil ihres Vaters zu erwischen. - Dann kam von der Mutter ein bestimmtes: „Die Äepel send va die Va! Bliw van de Pann av!"² Ein nochmaliger Versuch, etwas von dem Pfanneninhalt zu erreichen, wurde dann nur mit einem kurzen und jetzt bösen „Pannav!” unterbunden.

Die fast tägliche Wiederholung dieses Geschehens zur Mittagszeit und die immer gleiche letzte Aufforderung der Mutter an ihre Kinder führten dazu, dass die Familie des Kohlenhauers Köb als die „Pannavs” im ganzen Ort bekannt war und auch so genannt wurde.

¹) Jakob
²) Die Kartoffeln sind für deinen Vater! Bleib von der Pfanne ab!

Die Hochzeitsreise (Agnes Rütten)

Vor dem Ersten Weltkrieg, als Schaufenberg noch zum Kreis Jülich gehörte, beschlossen „d'r Will”* aus der heutigen Schaufenberger Straße und „dat Trütt”** aus der Engelstraáe zu heiraten. Es sollte eine große Hochzeit werden, und hinterher wollte man, was damals nicht üblich war, eine Hochzeitsreise nach Paris machen.

Die Feier war dann auch großartig. Anschließend, so war mitgeteilt worden, verkrümelte sich das Paar nach Paris. Am Haus der Neuvermählten herrschte Ruhe, die Fensterläden blieben auch am Tag geschlossen. So weit, so gut!

Dem Pitter***, Arbeitskamerad von Willi und auch Schaufenberger, jedoch kamen schon nach zwei Tagen Bedenken: „,Und wenn die jar net jefahre send?!”**** Pitter und seine Freunde wollten dem auf den Grund gehen. Und so rüttelten und rappelten sie am Abend an Will's Fensterläden - nichts rührte sich. Am nächsten und übernächsten Abend das gleiche Spiel! Am Abend darauf jedoch erscholl eine Stimme aus dem Haus, die offenbar Will gehörte: „On wenn ich net en Paris wüer, dann krecht er se jekonkelt!”*****

*) der Willi
**) die Gertrud
***) dem Peter
****) Und wenn die gar nicht gefahren sind?!
*****) Und wenn ich nicht in Paris wäre, dann bekämt ihr was aufs Hinterteil!

Der einsilbige Assessor (Friedrich Ebbert)

Da gab es in der Hauptverwaltung des EBV einen Bergassessor als Leiter der Stabsstelle, der als großer Schweiger bekannt war.

Eines Tages trat er eine Dienstreise mit Dienstwagen und Fahrer nach Essen an, wo in der Stadthalle der Bergmannstag feierlich begangen werden sollte. Zuvor steuerte der Fahrer aber Alsdorf-Ost an, von dort sollte ein junger Kollege mitgenommen werden.

Vor dem Hause angekommen, wartete der junge Mitarbeiter bereits vor der Haustür zur verabredeten Zeit. Er beeilte sich, zum Wagen zu kommen, öffnete die Fondtür und grüßte freundlich: „Glückauf, Herr Bergassessor!” - Der Wagen setzte sich in Bewegung und verließ schon fast Alsdorf-Ost, da sagte der Bergassessor: „Glückauf, Herr Kollege!”

Inzwischen lenkte der Fahrer die Dienstlimousine in Hoengen auf die Autobahn, da sagte der Bergassessor: „Da wohnen Sie also!” Der junge Mitarbeiter beeilte sich zu sagen: „Ja, da wohne ich mit meiner Familie schon seit einigen Jahren.”

Schon bald war die Reisegesellschaft kurz vor Düsseldorf, da räusperte sich der Bergassessor und fragte: „Wohnen Sie denn gerne dort?” Sein junger Begleiter erwiderte daraufhin aber auch nur: „Ja, ich wohne dort sehr gerne.”

Als dann der Fahrer in Essen vor dem Saalbau anhielt, räusperte sich der Bergassessor und sagte erstaunt: „Schon da? - Erstaunlich, wie schnell doch die Zeit vergeht, wenn man sich angeregt unterhält!”

Bis zum letzten Atemzuge (Hein Küsters)

Es war 1846, als der Grubensteiger Wilhelm Heinrich Sassenberg im Auftrag einer starken Finanzierungsgruppe in Alsdort in einer Tiefe von 85 Metern das erste Kohlenflöz anbohrte. 1850 begannen die Abteufarbeiten und 1854 die eigentliche Kohlenförderung. Der technisch versierte Sassenberg wurde zum ersten Betriebsführer von Anna I ernannt und in späteren Jahren sogar zum Direktor befördert. Er galt als überaus strenger Vorgesetzter, dem man nachsagte, er könne auch im Dunkeln sehen.

Jahrzehntelang wohnte er in einer Dienstwohnung auf dem Grubengelände. Der EBV hatte ihm vertraglich zugesichert, dieses Domizil bis an sein Lebensende behalten zu dürfen. Noch als hochbetagter Pensionär, stattlich und mit weißem Vollbart, unternahm er seinen täglichen Rundgang über das Werksgelände. Betriebsfremde waren ihm ein Greuel, die er stets mit seinem Eichenstock verscheuchte. Ein echter Patriarch, der vom Lehrjungen bis zum Betriebsleiter respektiert wurde. Im Laufe der Jahre wurde das Betriebsareal der Grube stark erweitert, die neuen Hallen, Werkstätten und Gleisanlagen beanspruchten immer mehr Platz. Das Wohnhaus des Direktors a.D. wurde zu einem problematischen Hindernis. Mehrmals schon hatten die Verantwortlichen des EBV versucht, Sassenberg zu einem Ortswechsel nach freier Wahl zu überreden, doch dieser pochte beharrlich auf seinen Vertrag. Bei einem erneuten Gespräch erklärte er kategorisch: „Meine Herren. Ich bin im Dreck geboren, habe im Dreck gelebt, im Dreck gearbeitet und will auch im Dreck sterben.” Ob solcher Logik hat man ihn nicht mehr bedrängt, aber wenige Tage nach seinem Tode wurde das Haus abgerissen. In Kellersberg erinnert noch heute die Sassenbergstraße an den „Alten”.

Ein Röllchen „Schick” (Hein Küsters)

„Schick” war in der Bergmannssprache die Bezeichnung für Kautabak oder Priem. Besonders beliebt waren die Marken „Grimm und Triepel” und „Hanewacker”. Bei der staubigen Arbeit in der Grube, wo bekanntlich Rauchverbot herrscht, ist heute der Schnupftabak wieder sehr beliebt.

Einst war ein Steiger beim Betriebsführer zum Rapport bestellt, doch bevor er dessen Büro betrat, klebte er sein „Prümmchen¹ Schick” außen an den Türrahmen. Ein Lehrling, in der Lichthalle den Fußboden kehrend, hatte das gesehen und - schwupp - stopfte er sich den Kautabak in den Mund.

Als der Steiger nach einer Weile aus dem Zimmer kam, war er verdutzt, weil sein geliebter „Hanewacker” verschwunden war. Aber dann ging ihm doch ein Licht auf. „Ho, Jong”, sprach er das Kehrmännchen an, „haste Zankping? Du hast esu jeschwolle Backe.”²

Der Lehrling bekam einen knallroten Kopf, zog mit seinen dreckigen Fingern das Schlabberding aus dem Mund und gab es dem Steiger zurück. Der drohte noch kurz mit dem Steigerstock, steckte sich sein „Prümmchen Schick” in die Backentaschen und ging zufrieden zur Waschkaue.

¹) Pfläumchen
²) He, Junge, hast Du Zahnschmerzen? Du hast so geschwollene Backen.

Wegweiser nach Berlin (Willi Stachowiak)

Die Geschichte selbst lag wohl schon Jahre zurück, als er noch ein junger und gesunder Bergmann war und auf der Grube sein Geld verdiente.

Tatsache war, dass Franz zu den wenigen gehörte, die schon vor dem letzten Krieg ein Motorrad besaßen. Alle bewunderten ihn. Sie konnten nicht genug über die technischen Daten der Maschine von ihm erfahren, und er sonnte sich im Besitz seines Motorrades.

Aber bald zog der Alltag ein, man wandte sich wieder anderen Dingen zu. Franz versuchte zwar immer wieder, sein Motorrad ins Gespräch zu bringen, bis er seinen Kumpels damit auf den Wecker ging. Eines Tages machte im Revier folgende Geschichte die Runde: Franz habe mit seinem Motorrad in voller Lederausrüstung an der Boschelner Kreuzung nach Alsdorf angehalten und eine Frau gefragt, wo es nach Berlin gehe. Er konnte dementieren, soviel er wollte, sobald von seinem Motorrad die Rede war, kam sogleich die Frage, ob ihm der Weg nach Berlin jetzt bekannt sei. Je mehr er sich aufregte, um so häufiger wurde ihm diese Frage gestellt. Mit Kreide wurden auf Rohrleitungen Richtungspfeile nach Berlin aufgemalt, und auch Förderwagen mit der Aufschrift „Nach Berlin” kamen zur Revierladestelle.

Noch nach Jahren, als das Motorrad längst Geschichte war und er als Haspelmaschinist an einem Blindschacht seine Arbeit leistete, passierte es hin und wieder noch, dass die Frage: „Geht es hier nach Berlin?” an ihn gestellt wurde. Wenn der Frager knurrend zur Antwort bekam, er würde ihn mit dem Korb in den „Sumpf” setzen, dann wüsste er den Weg nach Berlin, merkte man, dass da immer noch eine empfindliche Stelle war.

Ob Franz jemals in Berlin war, ist unbekannt. Und der Blindschacht, an dem Franz stand, den gibt es nicht mehr.

D'r Blaue (Wilhelm Quack)

Der Betriebsführer der Grube Adolf in Merkstein war ein humorvoller Mensch. Er hatte etwas rötliches Haar. Deshalb wurde er von den Bergleuten nur „d'r Blaue” genannt. Eines Tages inspizierte er mit seinem Stab ein Abbaurevier. Da hörte er vor sich einen Bergmann in den Streb rufen: „D'r Blaue kütt! D'r Blaue kütt!”¹ Diesen Schelm hatte man schnell erwischt.

Der als „Blauer” Bezeichnete stellte den Bergmann zur Rede und erfragte den Grund seines Rufens. Der Erwischte antwortete: „Ich wollte nur meine Kumpels warnen.” „So, so”, sagte der Betriebsführer”, der wohl bei bester Laune war, „zur Strafe gehen Sie jetzt vor uns her und rufen weiterhin: „D'r Blaue kütt! D'r Blaue kütt!'”

Alle Kumpels und der Betriebsführer hatten ihren Spaß.

¹) Der Blaue kommt!

Die Rache der Tränkpumpe (Manfred Fibus)

Wir hatten unser Revier in der zweiten Bauhöhe des N-Flözes, und ich war in der Reparaturschicht beschäftigt. Das Liegende der Bandstrecke war knöcheltief voll Schlamm, was uns erhebliche Probleme bereitete, den Streckenpanzer vorzuziehen. Hinzu kam oft, dass wohl die Hochdruckpumpen, die eingangs der Bandstrecke standen, nicht genug Druck aufbauten oder Druckabfall aufwiesen.

Um aber nicht immer wieder einen solchen Ärger beim Vorziehen des Panzers zu haben, beschloss eines Tages Steiger Sepp, die Tränkpumpe einzusetzen. Diese ist, wie der Name schon sagt, eigentlich zum Tränken des Kohlenstoßes gedacht und für einen Druck von 100 bis 150 bar ausgelegt, also normalerweise nicht so belastbar wie eine Hochdruckpumpe, die mit mindestens 300 bar den Schildausbau im Streb zu versorgen hatte. Das hinderte Steiger Sepp nicht daran, aus der Tränkpumpe auch einen solchen Druck herauszuholen und die Maschine auf Kosten ihrer Lebensdauer zu belasten. Mit Hilfe dieser Pumpe ging das Vorziehen des Streckenpanzers auf jeden Fall besser als mit den Hochdruckpumpen, die ständig ausfielen.

Wenn gezogen wurde, war ich damit beschäftigt, die Bandkonstruktion einzubauen. Wir waren dabei meistens zu viert. Drei von uns arbeiteten auf der Fahrwegseite, schafften das Material vor und bauten die Konstruktion ein. Der vierte stand immer hinter dem Band und baute an dieser Seite die Konstruktion ein. Dort war es eng, weil der Streckenausbau direkt an die Bandkonstruktion grenzte. Über dem Förderband hingen die Verteilung mit all ihren Schalt- und Steuereinrichtungen, der Transformator und - direkt über unseren Köpfen - die ächzende und stöhnende Tränkpumpe. So manches Mal hatten wir das Gefühl, sie würde uns um die Ohren fliegen. Oft wurden wir auch nass, weil irgendwelche Dichtungen dem Druck nicht standhielten. Eines Tages rächte sich die Überbelastung der Tränkpumpe fürchterlich: Es traf aber den Richtigen.

Steiger Sepp war wieder in Eile. Er wollte ruckzuck den Panzer vorziehen und bediente persönlich das Zuggerät. Wie ein Kapitän stand er am Streckenpanzer, das Steuergerät vor sich, und legte die Hebel um. Es klappte alles recht gut. Der Streckenpanzer hatte sich nicht so im Schlamm festgesaugt wie sonst. Die Die Elektriker hatten Mühe, ihre Kabelbündel nachzuziehen. In seinem Eifer vergaß unser Steiger, den Hochdruckschlauch im Auge zu behalten. Dieser wurde langsam kürzer, dann schon zu kurz, dann - ein Knall, und der Schlauch riss ab. Die Hydraulikflüssigkeit schoss mit hohem Druck aus dem abgerissenen Schlauch. Der Schlauch schlug im Streckenquerschnitt hin und her und verprügelte Steiger Sepp dabei gnadenlos. Schnell wurde die Maschine abgeschaltet.

Unser Steiger kauerte in der Ecke und wimmerte vor Schmerzen. Die 300 bar hatten ihre Wirkung gezeigt und einen großen starken Mann erledigt. Der um sich schlagende Schlauch hatte unzählige Blutergüsse hinterlassen, und Steiger Sepp wurde für zwei Wochen krankgeschrieben.

Schwangerschaft

Lautes Schimpfen und Jammern und Heulen drangen aus der Küche durch das ganze Haus. Der Bergmann Franz fühlte sich sogar bei der Gartenarbeit gestört. Er legte den Spaten zur Seite, ging langsam über den Hof und öffnete die Tür zur Küche. Seine Frau lehnte am Herd, die beiden Nachbarinnen saßen bei einer Tasse Kaffee am Küchentisch, die schon erwachsene Tochter des Bergmanns hatte ihren Kopf auf den Tisch gelegt und weinte. Als man Franz bemerkte, wurde es still. Die Tochter hob den Kopf. Mit Tränen in den Augen sah sie ihren Vater an und sagte: „Angere emmer, - nüüß! - Ich emol, - - - dä!”¹

¹) Andere immer - nichts! - Ich einmal - - - da!

Getaufter Schnaps (Jürgen Schaffrath)

Mein Großvater arbeitete auf der Grube Kämpchen in Kohlscheid. Viele Arbeiter, die morgens um sechs Uhr mit der Arbeit begannen und erst um achtzehn Uhr Feierabend hatten, kamen meistens schmutzig nach Hause. Denn damals gab es keine Waschkauen. Die wurden erst nach einem Streik, der auf der Grube Kämpchen im Mai 1889 stattfand, eingerichtet. Mein Großvater und all die anderen Bergleute konnten sich den Kohlenstaub an einem großen Bassin abwaschen. Um dieser Dreckbrühe zu entgehen - für mehr als einhundert Bergleute stand nur ein einziges Becken zur Verfügung - ging man eben ungewaschen nach Hause.

War der Großvater endlich zuhause, dann stieg er in einen hölzernen Waschzuber der mitten im Zimmer stand. Großmutter und auch gelegentlich die Kinder halfen ihm, mit einer Wurzelbürste und mit Schmierseife den Kohlenstaub abzuschrubben. Anschließend wurde gegessen. Und bevor Großvater todmüde ins Bett fiel, erzählte er von den Ereignissen auf der Grube und trank dazu einen Viertelliter Schnaps.

Dieses „Penksje Schnaps” mussten meine Tanten in einer Gaststätte am Mariadorfer Dreieck in einer extra dafür vorgesehenen Flasche kaufen gehen. Natürlich war für die Kinder diese mit Schnaps gefüllte Flasche verführerisch. Man kostete unterwegs und probierte die Qualität. Der Probierverlust wurde unterwegs an Straßenpumpen, die an bestimmten Stellen aufgestellt waren - in den Häusern gab es noch keinen Wasseranschluss - ausgeglichen.

Dann nahm das Zeremoniell seinen Lauf: Großvater, geschrubbt, gesättigt, genüsslich den Schnaps in dem Trinkgläschen anschauend, nahm Anlauf, den Kohlenstaub in seiner Kehle mit dem edlen Getränk hinunterzuspülen. - Voller Erwartung und mit gespannter Miene, dabei nicht ohne Angst, saßen meine Tanten in der Stube, um die Reaktion des Großvaters zu erleben. Merkt er es oder merkt er es nicht?

Großvater spülte den ersten Schluck des Getränkes prüfend durch den Mund. Seine Gesichtszüge veränderten sich zu einem Donnerwetter. Meine Tanten begaben sich in Fluchtstellung. Dann kam mit grollender Stimme und fürchterlicher Miene der Ausruf: „Souöster, hadder hämm at wörrem jedööft?”¹

¹) Sau-Äster, habt ihr ihn wieder getauft?

Erkältung (Resi Faatz)

Der Invalide hatte seinen siebzigsten Geburtstag schon gefeiert. Er war sein Leben lang nicht krank gewesen. Nicht eine Schicht hatte er früher auf der Grube versäumt.

An einem nassen Herbsttag kam er klatschnass aus dem Garten. Am anderen Morgen stand er nicht auf. Er hatte sich ordentlich erkältet. Auch den zweiten Tag blieb er noch liegen. Der Doktor hatte seinen Besuch schon abgestattet. Die Frau des Invaliden, die Kinder und Enkelkinder standen betrübt am Krankenbett. Auf einmal riss er die Augen auf und rief: „Ich glaube, ich sterbe, lauft schnell den Pastor holen.” Alle riefen gleichzeitig: „Ach, Vater, du stirbst noch lange nicht!” - „Was?” sagte er, „seid ihr krank oder ich? - Gebt mir meine Hose, dann hol ich den Pastor selbst!”

Unterschiede (Gisela Dietrich)

Zwei Bergleute sitzen vor Ort auf der Gezähekiste und buttern. Der geringe Lohn und die Sorgen in der Familie sind die Gesprächsthemen. Schließlich reden sie über ihre Arbeitskameraden und dann über die Grubenbeamten.

„Et jitt drej Zoete Beamte”, sagt der ältere Bergmann. „Zeiesch de Theoretische: die verstond et, ävver könne et net. Dann die Praktische: die könne et, verstond et ävver net.”¹

„On de drejde Zoet?”² fragte der jüngere.
„Dat send de Theoretisch-Praktische: die verstond et net, ävver könne et och net.”³

¹) Es gibt drei Sorten Beamte. - Zuerst die Theoretischen: die verstehen es, aber können es nicht! Dann die Praktischen, die können es, verstehen es aber nicht.
²) Und die dritte Sorte?
³) Das sind die Theoretisch-Praktischen: die verstehen es nicht, aber können es auch nicht.

Bergwerksdirektor Treutler (Manfred Howitz)

Von einer Persönlichkeit ist noch zu berichten, um die in der „guten alten Zeit” viele Anekdötchen von Mund zu Mund gingen.

Die Rede ist von Herrn Bergwerksdirektor Diplom-Bergingenieur Treutler, dem die Gruben der damaligen Bergwerksdirektion III unterstanden. Herr Treutler war eine markante und eigenwillige Person. Durch seine aufrechte große Gestalt und sein wohl etwas übertrieben exaktes Verhalten verkörperte er den alten preußischen Offizier. Er war Reserveoffizier und in den letzten Jahren des Ersten Weltkrieges als Major der Reserve Stadtkommandant von Aachen. Er war überaus präzise, und zwar nicht nur zu Untergebenen, sondern vor allem gegen sich selbst. Hierdurch entstehende Unannehmlichkeiten und persönliche Einschränkungen waren ihm unwesentlich.

Da war ein Kohlscheider Frisör, der von Herrn Treutler den Auftrag hatte, ihn jeden Morgen in seiner Villa in Pannesheide pünktlich um sieben Uhr zu rasieren. Wenn der Frisör jedoch einmal nach sieben Uhr kam, und zwar auch nur fünf Minuten später, lehnte Herr Treutler die Rasur ab mit den Worten: „Ich habe Sie für sieben Uhr bestellt und nicht später” Herr Treutler ging dann unrasiert zum Dienst.

Ein Betriebsführer des EBV, der in den letzten Jahren seiner Tätigkeit mit dem Abteufen von Schächten, damals dem Frankschacht auf Grube Laurweg, betraut wurde, hatte seinen Wohnsitz in Broichweiden. Er befand sich in Urlaub, war jedoch zu Hause und wurde an einem festgelegten Tag für neun Uhr von Herrn Treutler zu einer Betriebsbesprechung in sein Büro nach Kohlscheid bestellt. Verkehrsmittel wie Straßenbahn, Omnibusse und Pkws standen damals nicht zur Verfügung.

Der Betriebsführer, schon 60 Jahre alt, musste also wohl oder übel in Erfüllung seiner Pflicht an dem fraglichen Tag den Weg von seiner Wohnung bis Kohlscheid „per pedes apostolorum” machen. Hierfür waren bei einem älteren Herrn immerhin bis zu zwei Stunden erforderlich, zumal durchs Wurmtal bergab und bergauf gewandert werden musste.

Wohl ziemlich ermüdet von dem langen Fußweg, hatte er sich nun etwas verspätet und konnte erst um 9.10 Uhr, also zehn Minuten zu spät, seine Anmeldung bei Herrn Treutler machen. Der Bergwerksdirektor schaute auf seine Taschenuhr und sagte: „Ich habe Sie für neun Uhr bestellt! Jetzt habe ich keine Zeit, kommen Sie morgen, und zwar pünktlich um neun Uhr! Glückauf!”

Dem Betriebsführer blieb also nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge nach Hause zu gehen und wieder eineinehalbe bis zwei Stunden den gleichen Weg durchs Wurmtal zu machen.

Auf seinen üblichen Dienstgängen durch die Betriebe von Laurweg ging Herr Treutler eines Tages ins Fördermaschinenhaus, grüßte mit „Glückauf” und fragte den Maschinisten, der die Fördermaschine bediente, etwas Dienstliches. Dieser ignorierte jedoch die Frage des Direktors. Auch der nachfolgende Hinweis, er habe ihm sofort zu antworten, blieb ohne Erfolg. Erst nachdem die Fördermaschine stillstand, gab der Maschinist die verlangte Antwort. Herr Treutler soll darauf gesagt haben, er habe ihn nur fragen wollen, um festzustellen, ob er sich während seines verantwortungsvollen Dienstes durch ihn habe ablenken lassen. Er lobte ihn wegen seines korrekten Verhaltens, zog eine Geldbörse und gab dem Maschinisten zur Belohnung ein Zwanzig-Mark-Goldstück.

Kohlenlieferung für ein Kloster (Martha Beck)

Die Geschichte ist verbürgt: Zwei Männer aus Schaufenberg brachten Kartoffeln zu den Kunden. Nicht ganz wahrheitsgetreu könnten die beiden Männer auch Kohlenhändler gewesen sein. Sie lieferten anstelle der Kartoffeln Kohlen. Die Pointe bliebe gleich:

Im Herbst fuhren zwei Männer Kohlen für den Winter zu den Kunden. Sie trugen die Kohlen in Säcken in die Keller. Eines Tages kamen sie bei ihrer Tour auch nach Aachen und mussten Kohlen zu einem Kloster bringen. Dort gingen einige Patres, Brevier betend, durch den Park. Derweil schleppten die beiden die Kohlensäcke zum Haus. Nur einer der Patres fasste mit an und half ihnen, diese hineinzutragen. Das war einem Kohlenhändler zuviel. Da sagte er zu dem hilfsbereiten Pater: „Du schings mich hei och et Vottlauch zu senn!”¹

¹) Du scheinst mir hier auch das Arschloch zu sein!

Für zwanzig Mark Schrauben (Helmut Strehler)

Ein junger Steiger, frisch von der Bergschule gekommen, fuhr im Querschlag auf der 610-Meter-Sohle der Grube Anna I in Richtung Abbaurevier. Da entdeckte er im Streckenstoß etwas Ungewöhnliches. Nachdem er die Verzughölzer beiseite geräumt hatte, fand er ein Paket mit nagelneuen Schrauben. Die hatte dort wohl ein Schlosser für den späteren Gebrauch versteckt.

Der Steiger schimpfte: „So wird hier das Material vergeudet, eine Sauerei ist das!”

Er nahm die Schrauben mit, und als er in der Bandstrecke den Revierschlosser antraf, herrschte er diesen gleich an: „Schauen Sie, was ich gefunden habe, so wird hier auf Anna mit dem Material umgegangen. Nehmen Sie die Schrauben am Schichtende mit zum Schacht und geben Sie die im Magazin ab. Das sind ja für mindestens vierzig Mark Schrauben!”

Der Schlosser, ein altgedienter Bergmann, dachte schon im Geiste daran, dass er wohl heute durch den Umweg zum Magazin nicht den ersten Seilfahrtzug erreichen würde. In aller Seelenruhe zählte er die Hälfte der Schrauben ab und drückte sie dem jungen Steiger in die Hand: „Da well ich enns net esu senn, dä Jong, haste och zwanzisch Mark!”¹

¹) Da will ich einmal nicht so sein, da Junge, hast Du auch zwanzig Mark!

Vogelgesang (Günther Wolf)

Mit Nummern und Buchstaben sind die Flöze in den Kohlerevieren bezeichnet. In einigen Gruben verwandte man auch die von unseren Vätern übernommenen Flöznamen

Im Inderevier waren das zum Beispiel die Flöze „Großkohl”, „Fomeggel”, „Krebs” oder „Gyr”, im Wurmrevier trugen die Fl”ze Namen wie „Lamboy”, „Meister”, „Kroat” oder „Merle”.

Es muss vorweg auch gesagt werden, dass in der hiesigen Gegend die Amsel, ein sehr sangesfreudiger Vogel, „Merle” genannt wird. Ob der Flözname mit dem Vogelnamen in einem Zusammenhang steht, ist nicht bekannt.

Unsere Kolonne hatte den Auftrag, aus dem Unterwerksbau auf der 820-Meter-Sohle der Grube Domaniale in Kerkrade einen Kettenförderer auszubauen und zu einem anderen Betriebspunkt zu transportieren. Ein nicht gerade beliebter „Opzichter”¹ sollte uns nach vor Ort führen und dort beaufsichtigen. Unterwegs berichtete der „Opzichter” von seinen bisherigen Arbeiten und Tätigkeiten auf der Grube.

Sein großes Können schilderte er beim Abbau des Flözes „Merle”. Als er zum „gottweißwievielten” Male von seiner Merle spricht, er seine Leistungen herausstellt, ruft Hauer Leo Moonen plötzlich: „Steger, sin ens still, ich meng, ich hür se flöte!”²

¹) holländische Bezeichnung für Aufseher/Steiger
²) Steiger, sei einmal still, ich meine, ich höre sie flöten!

Der Klüttekarajan

Über Jahrzehnte aufgebaut und von hoher Qualität singt in der Bergbaustadt Alsdorf zur Freude vieler Bürger der „Städtische Chor”. Die Konzerte sind Ereignisse. Fachleute wundern sich darüber, welche schwierigen Kompositionen gekonnt dargeboten werden. Es ist neben dem Engagement der Sängerinnen und Sänger besonders der Dirigent zu loben, der mit Beharrlichkeit, Einfühlungsvermögen und Können den Chor formt und zu solch beachtlichen Leistungen führt.

Bei einem Konzert begrüßt erstaunt ein Ehepaar den ehemaligen Grubensteiger Ernst, der den Einlass der Konzertbesucher regelt und die Eintrittskarten entwertet. Steiger Ernst erkennt Verwunderung auf den Gesichtern des ihm bekannten Ehepaares.

„Bitte keine Fragen an mich”, sagt er, „jeder nach seinem Können! - Ich habe Dienst am Einlass, meine Frau singt im Chor, und der ,Klüttekarajan'¹ dirigiert!”

¹) Klütte = Briketts/Kohlen
²) Karajan = berühmter Dirigent

Der Hexenschuss (Hein Küsters)

Drei Kumpels, Will, Pitt und Fränz, gingen immer zusammen zur Grube und auch gemeinsam wieder nach Hause. Wenn Lohntag war, bekam das Trio stets Durst und kehrte dann in eine bekannte Gaststätte in der Nähe von Anna II ein.

Einmal, jeder hatte schon ein Dutzend „Köppelcher”¹ intus, kippte Kamerad Will plötzlich vor der Theke um und schrie: „Ich hann enne Hexeschoss on kann net mieh stonn on jonn!”²

Was nun? - Er wurde auf eine Bank gelegt und massiert, dass man sein Geschrei kilometerweit hören konnte. Aber es halt alles nichts, und deshalb waren Pitt und Fränz gezwungen, ihren kranken Kumpel nach Hause zu tragen. Der jammerte unterwegs, als hätte seine letzte Stunde geschlagen.

Als sie nun vor seinem Haus ankamen, Pitt und Fränz waren schweißbedeckt, sprang der angeblich Kranke auf seine Füße und huschte zur Haustür hinein. Er lachte aus vollem Hals und rief „Merci, Jonge. Esu bequem benn ich noch nie no Heem komme!”³

¹) Bier und Schnaps zusammen
²) Ich habe einen Hexenschuss und kann nicht mehr stehen und gehen!
³) Merci, Jungen So bequem bin ich noch nie nach Hause gekommen!

Der beste Hahn (Albert Gehards)

Bergmann Heinen auf der Grube Breiniger Berg züchtete Hähne. In Breinig und den umliegenden Dörfern waren Hahnenkämpfe üblich und ein Vergnügen für die Bewohner. Die Hähne des Bergmanns Heinen waren als gute Kampfhähne bekannt und gewannen manchen Zweikampf.

Heinen hatte im Garten seines Hauses einen großen Hühnerpark gebaut. Die einzelnen Hähne waren in kleineren separaten Gehegen untergebracht. Das viele Material zum Bau seiner Drahtgehege und der Ställe besorgte Heinen auf seiner Grube. Besonders der Schmied des Bergwerkes war dem Hahnenzüchter zugetan, oft bekam Heinen gegen eine Flasche Korn das Material für den weiteren Ausbau seiner Zuchtanlage.

Einmal hatte Heinen vergessen, den nötigen Preis für eine Materiallieferung abzugeben. Auch nach wiederholten Erinnerungen stand Heinen noch immer in der Schuld des Schmiedes.

Da sann der Schmied auf Rache. Als der Bergmann eingefahren war, ging er zum Haus des Züchters und fing sich aus dem Stall den schönsten Hahn. Er fütterte das Tier mit einem Rest Schnaps, den er in einer Flasche mitgebracht hatte und ließ ihn wieder in den Hühnerpark hinein.

Als Heinen von der Schicht kam, ging er wie jeden Tag zuerst zu seinen Ställen. Er erstaunte, als er seinen besten Hahn durch den Stall torkeln sah. „Wat es met dat Dier laus?” rief der Bergmann. „Ich jlöv, dä jeht kapott!”¹ Er fing den Hahn und schlachtete ihn.

Als er mit dem toten Tier aus dem Stall kam, stand der Schmied vor ihm. Der hatte sich über die ganze Zeit hinter einer Hecke versteckt gehalten. Er erinnerte den Bergmann an seine Schuld. Der durchschaute jetzt das ganze Spiel und wusste, warum der Hahn im Stall so getorkelt war.

Ohne Zögern gab er den toten Hahn dem Schmied und sagte: „Et worr der beitzte Hahn. - Loß em disch schmache! - On wir zwei send quitt!”² drehte sich um und ging.

¹) Was ist mit dem Tier los? Ich glaube, der geht kaputt!
²) Es war der beste Hahn. - Laß ihn dir schmecken! - Und wir zwei sind quitt!

Eisbär (Heinz Hädermann)

Auf der 300-Meter-Wettersohle der Grube Adolf war in den 50er Jahren ein älterer Anschläger beschäftigt, welcher nahezu bei allen Bergleuten der Anlage dafür bekannt war, dass er stets vor sich her grummelte oder brummte. Nicht zuletzt deswegen, sondern auch seiner eisgrauen Haarpracht wegen, nannten alle diesen Anschläger „Eisbär”. Zudem war bekannt, dass er sich über diesen Spitznamen mächtig und oft laut fluchend ärgerte. Das hatte natürlich zur Folge, dass die Kumpels keine Gelegenheit ausließen, ihm, wo immer er auch war, ein „Eisbär” nachzurufen.

Wenn die Leute sich jedoch am Schacht zur Ausfahrt versammelten, unterließen sie es, den Spitznamen auszusprechen, weil der Anschläger sonst die Seilfahrt eigenmächtig verzögerte, was den Kumpels nicht sehr gefiel. Desto lauter erklang das Rufen „Eisbär - Eisbär - Eisbär”, wenn sie sich in Sicherheit fühlten. Und ganz besonders laut und schallend klang das chorische Rufen im Schacht, wenn eine Mannschaft mit dem Förderkorb ans Tageslicht gezogen wurde.

Kamen Bergleute von der tieferen 450-Meter-Sohle bei der Seilfahrt nach der Schicht mit dem Förderkorb an der 300-Meter-Sohle vorbei und alle wussten, dass sich der besagte Anschläger auf der Wettersohle befand, setzte dieser Chor aus allen Kehlen unerbittlich und auch schaurig klingend ein. Zwischen den „Eisbär"- Rufen war dann immer die Schimpfkanonade unseres armen Anschlägers zu vernehmen, wie: „Wartet nur ab - ich krieg euch noch!”

Und das ging so weiter, bis der Leidgeprüfte an einem Wintertag, an dem es am ausziehenden Wetterschacht ganz besonders kalt war, den Wasserschlauch anschloss und sich auf die Lauer legte. Da der „Eisbär”-Chor schon unterhalb der Wettersohle lautstark einsetzte, war genügend Zeit zu agieren. Kurzerhand zog der Anschläger das Notsignal, worauf der Korb mit den Rufern noch unterhalb des Anschlags fast ruckartig zum stehen kam. Er nahm den Schlauch und ließ einen eiskalten Wasserstrahl auf den Korb und damit auch auf die im Korb befindlichen Spötter prasseln. Im Nu verstummte der Chor, und das Rufen ging in lautes Fluchen und in Verwünschungen über, bis sich nach wenigen Minuten der Korb wieder in Bewegung setzte.

Nach Aussagen der Ablöseschicht auf der Hängebank muss das Schimpfen in allgemeines Zittern und Zähneklappern übergegangen sein, und die Opfer waren schleunigst in der wärmenden Waschkaue verschwunden.

Das chorische „Eisbär”-Rufen hatte damit ein Ende, und unser Anschläger wurde zur Legende.

Dös ko i net!¹ (Horst Wolff)

Es ist neun Uhr dreißig, von unten herauf kommt das Signal: „Rutschentour halt!” Ich habe meine Bank als zweiter Mann unterhalb der Kopfstrecke. Für ein paar Minuten lege ich Pickhammer und Schaufel zur Seite, um ein klein wenig zu verschnaufen. „Heut ist wieder einmal der Teufel los,” hört man den Rutschenbaas von unserer Tour wettern. Ja, damit hat er recht; denn es ist jetzt das achte Mal, dass die Rutsche steht. In der unteren Tour soll der Berg schwer drücken, das Hangende hat sich abgesenkt. So ist es leicht erklärlich, dass dicke Kohlenbrocken hängenbleiben, zumal unser Stoß nur achtzig Zentimeter hoch ist.

Da kommt auch schon der Lehrhauer Hermann von der unteren Tour schweißtriefend angekrochen. Völlig außer Puste lässt er sich für einen Moment nieder. Er hatte vom Steiger den Auftrag, alles Holz nach unten zu transportieren, damit der Streb nicht zu Bruch gehe. Während wir noch reden, erscheint auf der Kopfstrecke ein Licht. Es ist ein „Neuer”. Er meldet sich beim Rutschenbaas als Schlepper. Weil die Rutsche steht und der Lehrhauer Hermann noch außer Atem dasitzt, kommt unserem Baas ein origineller Einfall. Doch bevor er dem Neuen etwas sagt, nimmt dieser ihm schon das Wort von der Zunge. In seiner bayerischen Mundart fragt er unseren Baas: „Warum stoat dös Ding?”² Da deutet unser Baas auf den Lehrhauer und meint: „Hermann hat bis jetzt die Rutsche geschoben und muss sich nun ausruhen. Aber, damit du das auch lernst, kannst du gleich einmal anfangen.”

Das lässt sich unser guter Seppl nicht zweimal sagen, er beugt sich über das Rutchenende, kräftig packt er an und versucht zu schieben und zu ziehen, aber die Rutsche bewegt sich nicht. Er entledigt sich seiner Jacke und schaut uns dabei hilflos und enttäuscht an. Während wir uns vor Lachen den Bauch halten, stürzt er sich ein zweites Mal über die Rutsche mit dem Vorsatz: ,Jetzt oder nie!'

Aber das ,Ding' bewegt sich nicht. Er gibt es auf, und keuchend sagt er: „Dös ko i net, dös is zu schwoar fier mi!”³ In diesem Augenblick kommt das Signal: „Laufen!” Die Augen unseres Seppl werden groß und größer; denn das ,Ding' läuft, ohne dass einer schiebt. Nun erst merkt er, dass er einem Spaß zum Opfer gefallen ist.

¹) Das kann ich nicht.
²) Warum steht das Ding?
³) Das kann ich nicht, das ist zu schwer für mich

Lutten und anderes Material (Friedrich Ebbert)

Mein Großvater führte eine Kolonne von Schachthauern, die sich, es war vor dem Ersten Weltkrieg, zum Schachtabteufen verdingten, wo immer sie gut bezahlt wurden. Ihre Spezialität war das Abteufen der Schächte vom grünen Rasen aus.

Eines Tages kam er mit seinem Drittel zum Schacht, als der zuständige Steiger zu ihnen sagte: „Heute gibt es keine Abteufarbeiten, wir hatten einen Wassereinbruch, die Pumpen schaffen es nicht mehr, wir müssen zusätzlich mit den Abteufkübeln Wasser heben, für euch habe ich heute andere, dringend erforderliche Arbeit.” Und nun begann er aufzuzählen und anzuweisen, was alles im Einzelnen zu tun sei: „Die Lutten transportiert ihr von dort nach hier, die Ziegelsteine sind ordentlich an der Stelle zu stapeln, die Schrauben sind nach Größen zu sortieren und sorgfältig zu Lagern, die Rohre sind kreuz und quer durcheinander, sie sind alle nach Länge und Durchmesser gesondert säuberlich zu stapeln, das Anschlaggeschirr und die Karabinerhaken sind zu reinigen und einzufetten, und außerdem ist der Bergehaufen unter der kaputten Kippbühne in die Loren zu schaufeln und auf die Bergehalde abzutransportieren, damit die Laderampe und die Kippbühne anschließend in einen ordnungsgemäßen Zustand gebracht werden können, alles verstanden?!”

Die Kumpel hatten verstanden, murrten aber vor sich hin und waren unzufrieden angesichts des enormen Arbeitsauftrages, der eigentlich noch für die nächsten zwei weiteren Drittel reichlich Beschäftigung bot.

Mein Großvater erfasste die Situation blitzschnell und sagte zu dem Steiger: „Ja, Steiger, wir haben alles klar verstanden, aber wenn wir das alles geschafft haben, was sollen wir aber dann noch bis Schichtende machen?”

Dem Steiger verschlug's die Sprache. Ein zorniger Blick traf meinen Großvater, und schlecht gelaunt ging er zu seinem „Sorgenschacht”.

Alle lachten aber jetzt lauthals und sagten: „Glückauf Steiger!”, dann gingen sie gutgelaunt an die Arbeit.

Rentnerverzäll* (Gustav Lauer)

Auf einem Spaziergang im Broichbachtal gingen meine Frau und ich hinter drei Berginvaliden her und hörten, dass sie von „de Kull” sprachen. Einer erzählte: „An Schruwe koem me schleäht draa, an Nääel at iieder”**

Beim Überholen fragte ich die drei: „Söd ühr au Jecke noch ömmer an et Werke än Metnemme?”*** Darauf gab einer zur Antwort: „Ja, Jong, dat well ich dich ens sage, en ene Omkreäs van zehn Kilometer hängt jenge Chrestes an ene Nael, of neä, heä es van de Kull!”****

*) Rentnergespräche
**) An Schrauben kam man schlecht dran, an Nägel schon eher
***) Seid Ihr alten Narren noch immer am Arbeiten und Mitnehmen?
****) Ja, Junge, das will ich Dir einmal sagen, in einem Umkreis von zehn Kilometern hängt kein Christus an einem Nagel, es sei denn, er ist von der Grube!

Lemima

In vielen Ländern wurden Bergleute angeworben, um auf den Gruben des Aachener Reviers zu arbeiten. Die Bergwerksgesellschaften richteten Sprachkurse ein, um den hier fremden Menschen zumindest eine geringe Kenntnis der deutschen Sprache zu vermitteln. Die Teilnahme war für die ausländischen Mitarbeiter verpflichtend. Erst nach Ablegung einer Sprachprüfung durften sie an Arbeitsstellen übertage und auch untertage eingesetzt werden.

Das herzhafte Schimpfen und Fluchen der Bergleute wurde in den Sprachkursen nicht gelehrt. - Diese Fähigkeit beherrschten die ausländischen Mitarbeiter gleichwohl nach wenigen Wochen oder sogar schon nach Tagen, wenn sie in einer Arbeitskolonne mit den deutschen Kollegen nebeneinander arbeiteten.

Von Kind an war den einheimischen Bergleuten ein klassisches Zitat aus dem Schauspiel „Götz von Berlichingen” geläufig. Ein „Leck mich am Arsch!” rutschte oft und leicht von den Lippen

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Ein türkischer Mitarbeiter war einer Arbeitskolonne in der Ammoniakfabrik der Anna-Kokerei in Alsdorf zugeteilt. An einer Maschine wurden Papiersäcke mit Ammoniak als Düngemittel für die Landwirtschaft gefüllt. Nacheinander schulterte ein Arbeiter einen Sack und trug ihn auf einen vor dem Gelände stehenden Lastkraftwagen. Schnell, fast im Laufschritt, bewegten sich die Männer. In kurzen Zeitabschnitten kontrollierte ein Steiger den Arbeitsfortschritt und trieb die Arbeiter mit: „Schneller! - Tempo! - Avanti!” an. Dabei wurde seine Stimme besonders laut, wenn der neue türkische Mitarbeiter an ihm vorbeikam. Der fühlte sich zunehmend schikaniert. Als er wieder, einen schweren Sack geschultert, auf dem Weg zum Lastkraftwagen in Höhe des Steigers war, ihm das „Schneller! - Tempo! - Avanti!” entgegenschlug, warf er mit ruckartiger Körperbewegung dem Steiger den Sack vor die Füße und sagte: „Kleines Steiger, lemima!”

Die Wette (Friedrich Ebbert)

Die Kumpel hatten in der Regel recht bald heraus, wie sie sich mit welchen Vorgesetzten einen entsprechenden Umgang leisten konnten. Bei dem einen ging es nur mit Distanz und sachlich, mit einem anderen kameradschaftlich, aber respektvoll, mit einem dritten konnten sie sich schon mal einen Scherz erlauben oder diesen gar auf die Schüppe nehmen.

Eine weitere charakteristische Eigenschaft vieler Kumpel war, dass sie schnell für ihre Kameraden oder Vorgesetzten, je nach körperlichen, geistigen oder charakterlichen Merkmalen, einen Spitznamen fanden.

Ein ganz Pfiffiger war der „Ideen-Fritz”, der Ortsälteste Kowalski. Der kannte immer einen Ausweg in schwierigen Situationen, wenn andere nicht mehr weiter wussten. Er hatte immer eine Idee, wie er als Ortsältester seine Kumpel froh auf die Arbeit einstimmen konnte, wenn die Stimmung mal ganz schlecht war.

So ergab es sich eines Tages auf der Mittagschicht, dass die Arbeit im Raubort ganz schlecht klappte und bis zur halben Schicht fast alles schief lief. „Ideen-Fritz” ordnete „Butterpause” an und dehnte diese länger als erlaubt aus.

Da kam noch zu allem Übel der Fahrsteiger, ein Bergassessor. Ohne „Glückauf” zu sagen, maulte er die auf der Kiste sitzende Ortsbelegschaft an: „Wie sieht das hier aus?! - Alles liegt durcheinander, ein Saustall ist das hier sondergleichen, und ihr sitzt auch noch da auf der Kiste, obwohl die Butterzeit schon längst vorbei ist!” Er hat ja recht, dachte „Ideen-Fritz”, sie waren noch nicht zum Abtransport des geraubten Materials gekommen, deshalb lag noch alles herum, und die Butterzeit war tatsächlich schon lange vorbei. „Und überhaupt”, schimpfte der Bergassessor weiter, „Sie, Kowalski, sollten sich entweder mehr bewegen oder weniger essen, Sie werden ja viel zu fett!” Der Bergassessor war selbst von schlanker, sportlicher Figur. Er achtete auch sehr darauf, er war wohlproportioniert und hatte einen durch- und durchtrainierten Körper mit fast idealen Maßen.

„Ideen-Fritz” war nicht gekränkt ob der Anspielungen auf seine Körpermaße, vielmehr huschte ein verschmitztes Lächeln über sein kohlegeschwärztes Gesicht, und er konterte dem Bergassessor: „Aber, Herr Bergassessor, ich kann mich doch noch überall sehen lassen. Ich bin fit und kann noch allein und ohne jede Hilfe durch die Lutte da kriechen, was Ihnen allerdings schwerfallen dürfte!” - Damit zeigte er auf eine 400er Lutte, die am Streckenstoß lag. „Wetten um zwanzig Mark für einen Kasten Bier, dass Sie da allein nicht durchkommen!?”

Kowalski hatte den Bergassessor an seiner eitelsten Stelle getroffen. Er, der so stolz auf seinen schlanken sportlichen Körper war, sollte nicht durch die Lutte kriechen können? Er ging also die Wette ein. „Ideen-Fritz” zog sich seine Jacke aus, um schlanker zu sein, und krabbelte, wenn auch ächzend und stöhnend, durch die Lutte hindurch.

Der Bergassessor behielt seine Jacke demonstrativ an. Husch, war er in der Lutte verschwunden. Aber er war noch nicht im letzten Drittel, da hob „Ideen-Fritz” die Lutte am Einstiegsende hoch, und der Bergassessor steckte kopfüber, mit den Beinen nach oben, in der Lutte. Er schimpfte und schrie da drinnen, man solle den Unsinn sein lassen, es sei unfair usw.. „Ideen-Fritz” legte daraufhin die Lutte wieder auf die Sohle der Strecke, und der Bergassessor kroch wutschnaubend aus ihr heraus, nahm mit einem Ruck seinen Blitzer vom Streckenstoß und ging grußlos zum Blindschacht.

Die Ortsbelegschaft lachte lauthals über den gelungenen Scherz und ging, wieder besser gelaunt als vorher, an die Arbeit. Nach der Schicht trat „Ideen-Fritz”, noch ungewaschen, vor den Revierschalter der Steigerstube, wo der Bergassessor saß und den Schichtenzettel kontrollierte. Er blickte auf, sah Kowalski und brummte mürrisch: „Was wollen Sie denn noch?” „Ideen-Fritz” antwortete schmunzelnd: „Ich komme, um die zwanzig Mark zu holen für den Kasten Bier!”

Der Bergassessor hielt einen Augenblick inne, zog seine Geldbörse aus der Gesäßtasche, holte zwei Zehnmarkscheine heraus und reichte sie Kowalski durch den Schalter. Schließlich wollte er kein Spielverderber sein. Eigentlich kam er ja mit den Leuten im Allgemeinen auch gut aus. Sie respektierten ihn in der Regel, und das sollte in Zukunft so bleiben. „Hier”, sagte er, „obwohl es ja unfair war, aber ein zweites Mal geh ich euch nicht mehr auf den Leim!”

„Ideen-Fritz” sagte: „Danke, Herr Bergassessor, und Glückauf!” Er ging stolz durch die Lichthalle mit seinem Wettgewinn in der Hand und einem pfiffigen Schmunzeln im Gesicht, denn er hatte schon längst eine andere Idee in seinem Kopf, wie er den Bergassessor bei einer anderen Gelegenheit aufs Kreuz legen könnte.

Zahnschmerzen (Resi Faatz)

Schon über zwei Wochen hatte Lenchen, die Frau des Gesteinshauers Hermann, arge Zahnschmerzen. Als diese dann doch zu groß wurden, überwand sie die Angst vor dem Zahnarzt und machte sich auf den Weg in die Arztpraxis.

Der Arzt besah die krummen Zähne und sagte: „Mein liebes Lenchen, wie hast du das nur ausgehalten? Da muss ich einige Zähne ziehen!” Lenchen saß zitternd da und betete still einige Vaterunser. Als der Doktor den ersten Zahn zog, stieß Lenchen einen Schrei aus und rief: „Doktor, Doktor, ich sterbe, ich sterbe!” - „Och”, sagte der Doktor, „so schnell stirbst du nicht. - Sei still, ich ziehe den zweiten Zahn, sterben kannst du dann noch immer!”

Der Ofentanz (Jürgen Schaffrath)

Antek musste als lnstandhaltungsschlosser an Schacht II auf der 860-Meter-Sohle auch Reibrollen von Reibradstationen, die die Förderwagen zentimetergenau zum Schacht transportierten, auswechseln. Die Reibrollen waren aus einem sehr zähen und festen Plastikmaterial, aus Vulkulan, hergestellt. Genauso, wie es mit alten Autoreifen geschieht, wurden diese Rollen bei Verschleiß und Abrieb ausgewechselt.

Eines Tages war wieder das Thema „Hausbrandkohle” angesagt, und ein Schlosser meinte beiläufig, dass er die alten Reibrollen als Brennmaterial mit nach Hause nehmen würde, um so Deputatkohlen¹ zu sparen.

Antek wurde hellhörig und fragte nach, ob das auch stimmen würde. Alle Kollegen nickten mit den Köpfen und rechneten Antek aus, wieviel sie schon mit diesen Vulkulanreibrollen an Brennmaterial eingespart hatten. Eine Woche lang sammelte Antek nun alte Reibrollen, zersägte sie zu handlichen Klötzen und schleppte einen ganzen Sack voller Vulkulanklötze am Wochenende mit nach Hause.

Das Unglück nahm seinen Lauf:

Am Montag nach dem Wochenende, als Antek auf dem Weg zur Grube war, konnte man seinen Gesichtszügen ansehen, dass Ärger bevorstand. Angesprochen auf den Heizwert und den Spareffekt der mitgenommenen Reibrollen, brach das Donnerwetter los. „Ihr Drecksäcke, ihr scheinheiligen Lumpen, ihr Pharisäer, was fragt ihr noch so heuchlerisch?! Getanzt hat er!” Auf die Frage: „Wer?” schrie Antek lauthals: „Der Ofen!!! - Geglüht hat das Ofenrohr' alles hat geglüht! Alles mussten wir neu tapezieren, von wegen sparen! - Lasst euch nicht von meiner Frau erwischen, die hat auch euch einen Tanz versprochen!”

Nach Schicht nahmen die Bergleute Antek mit in die Stammkneipe. Mit ihm versöhnten sie sich bei ein paar Gläschen Schnaps und Bier.

Anteks Frau ging man von da an aus dem Wege.

¹) Deputat = Entlohnung in Naturalien

Kübel vom Haken (Friedrich Ebbert)

Als mein Großvater am anderen Tage wohlausgeruht zum Schacht kam, standen bereits die Kumpel von seinem Drittel mit dem Steiger zusammen am Schacht, lehnten sich gegen die Schachtklappe und sahen in den Schacht hinunter. „Glückauf! Was ist hier los, warum seid ihr noch nicht umgezogen?" fragte mein Großvater ungehalten.

Der Steiger sagte mit verdrossener Miene: „Fritz, die beiden Kübel sind vom Karabinerhaken gefallen und liegen unter Wasser auf der Schachtsohle, wir können nicht mehr sümpfen¹, erst müssen wir andere Kübel besorgen und heranschaffen.”

Mein Großvater sagte: „Das ist nicht nötig, ich hol die Kübel heraus!” Darauf der Steiger: „Fritz, mach keinen Quatsch, was hast Du vor?” Darauf der ,Alte Fritz', wie seine Kumpel ihn liebevoll nannten: „Das lass mal meine Sorge sein, Steiger, aber ich habe zwei Bedingungen.” „Und die sind?” fragte der sorgenvolle Steiger. „Erstens, wenn ich die Kübel raushabe, will ich hier eine Ölkanne voll Schnaps stehen haben, und zweitens ist für mich dann Ende der Schicht für heute, und ich habe für den Tag meinen vollen Schichtlohn, ist das klar?”

Der unglückselige Steiger sagte den gestellten Bedingungen eiligst zu in der hoffnungsvollen Erwartung, die Abteufkübel wieder ans Tageslicht zu bekommen, damit weiter gesümpft werden konnte. Der „Alte Fritz” ging nunmehr in die Kaue, zog sein Ölzeug² samt Gummistiefeln an, band die Hosenenden um die Stiefel herum mit Schießdraht fest zusammen und sagte, zum Schacht zurückkommend, dem Steiger: „Nun binde Du mir die Ärmel mit Schießdraht fest zusammen!”

Nachdem dies durch den Steiger sorgfältig ausgeführt war, ging der ,Alte Fritz' zum Fördermaschinisten ins Maschinenhaus. Nach kurzer Zeit kehrte er wieder zurück, trat an die Schachtklappe. Der Karabinerhaken am Seil wurde schon vom Maschinisten bis in Höhe der Schachtklappe vorgefahren. Mein Großvater stellte sich mit einem Fuß in den Karabinerhaken, hielt sich mit der rechten Hand am Förderseil fest und zog mit der linken Hand dreimal kräftig am Hammerseil, ein Zeichen für den Fördermaschinisten, den ,Alten Fritz' im Dunkel des Schachtes verschwinden zu lassen. Wie mit dem Fördermaschinisten vereinbart, hielt dieser die Maschine sofort an, nachdem er das ,Halt-Zeichen' von unten erhalten hatte, gerade zu dem Zeitpunkt, als der Karabinerhaken den Wasserspiegel berührte. Der ,Alte Fritz' holte tief Luft, klopfte „Hängen", und schon tauchte er ins Wasser ein, ertastete einen Kübel, erwischte den Bügel des Kübels und schlug den Karabinerhaken daran, während er seine Beine bereits im Förderkübel hatte. Nach 15 Sekunden ab dem Eintauchen - so war es mit dem Fördermaschinisten ausgemacht - fuhr dieser die Maschine vorsichtig an, und als er merkte, das Seil straffte sich, gab er „Volle Pulle” und zog den ,Alten Fritz' samt dem Kübel hoch zu den erstaunt applaudierenden Schachthauern und dem Steiger übertage.

Der Kübel wurde abgeschlagen, und der zweite Vorgang wiederholte sich in der gleichen Weise. Wieder oben angekommen, nahm der ,Alte Fritz' die Ölkanne, machte ein paar kräftige Züge, setzte sie mit einem entspannenden „Aahh” ab und übergab sie an den nächststehenden Kumpel seines Drittels, zog sich in der Kaue um und ging, allen Zurückbleibenden ein kräftiges „Glückauf” zurufend, freudig winkend nach Hause.

¹) Wasser heben, pumpen
²) wasserdichter Anzug

Hypnotiseur (Kurt Mätzig)

Ein Neuer war der Förderschicht zugeteilt. Bevor man in den Streb kroch, die Flözmächtigkeit betrug nur achtzig Zentimeter, aß man auf der Bandstrecke ein Butterbrot und trank einen kräftigen Schluck aus der Kaffeepulle. Der Neue wurde unter die Lupe genommen. Bereitwillig gab er Auskunft. Er erzählte, dass er bei einem Zirkus gewesen sei und dort als Dompteur und Hypnotiseur gearbeitet habe. Das glaubten ihm die alten Hauer wohl nicht, und deshalb beschlossen sie, ihm einen Streich zu spielen.

Am anderen Morgen wurde der Zirkusmann ordentlich gereizt. Es hieß, er könne nicht hypnotisieren. Alle verlangten einen Beweis. Der Mann fühlte sich gefordert und begann mit seiner Arbeit. Und tatsächlich, ein Bergmann nach dem anderen fiel in tiefen Schlaf. So war es vorher zwischen den Bergleuten ausgemacht. Nur ein Schlepper war nicht eingeweiht. Er blieb munter und staunte Bauklötze.

Währenddessen stand der Reviersteiger unten im Querschlag und wartete darauf dass nun endlich vom Förderband die Kohle zur Ladestelle transportiert würde. Aber das Band blieb leer Schließlich wurde es dem Steiger zu bunt. Mit schnellen Schritten hastete er die Bandstrecke hoch, um nachzusehen, was da los sei. Er fand alle Bergleute schlafend vor. Ein Donnerwetter ließ der Steiger los. Der junge Schlepper zeigte auf den Zirkusmann und erklärte, dass dieser alle hypnotisiert habe. Der Steiger schrie den Neuen an: „Mach sofort de Lüh wacker!”¹ Darauf zuckte der Hypnotiseur die Schultern und antwortete: „Ich versuche es die ganze Zeit.” Der Steiger holte tief Luft und rief: „Ich rufe den Betriebsführer an.” Dann lief er die Bandstrecke hinunter.

Nun war es für die Kohlenhauer höchste Zeit. Wie auf ein Kommando erwachten sie, ließen den verdutzten Neubergmann stehen und gingen an ihre Arbeit. Sie hatten ihren Spaß gehabt, aber die Förderung musste auch stimmen, das war Ehrensache.

¹) Mach sofort die Leute wach!

Unter dem Messer (Manfred Howitz)

Der in den Jahren 1907 bis 1909 amtierende Vorsitzende des Aufsichtsrates des EBV, Herr Landgerichtsassessor a. D. Robert von Görschen, ging eines Vormittags ohne Anmeldung ins Büro des kaufmännischen Direktors, Herrn Schornstein. Er traf diesen dort „unter dem Messer” des Barbiers. Da natürlich die Rasur nicht auf halbem Wege stehen bleiben konnte und sie ordnungsgemäß bis zum Ende durchgeführt werden musste, blieb dem Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden nichts anderes übrig, als sich bis zur Beendigung der Rasur zu gedulden, um dann erst mit der vorgesehenen Besprechung zu beginnen. Dieses für den Direktor Schornstein wohl unangenehme Vorkommnis wäre zweifellos auch schnell wieder vergessen gewesen, wenn es bei dieser Störung geblieben wäre. Doch weit gefehlt: Beide Herren, Aufsichtsratsvorsitzender und kaufmännischer Direktor, begaben sich im Verlaufe der weiteren Besprechung zum Generalkassierer in der Hauptkasse, Herrn Prokurist Stahl, der jetzt von dem gleichen Friseur, der sich ja noch auf seiner üblichen Runde befand, „bearbeitet” wurde.

Schon wieder musste sich der Herr Aufsichtsratsvorsitzende mit seinem Anliegen solange gedulden, bis auch diese Rasur beendet war.

Dieses unangenehme Zusammentreffen zweier Rasuren während einer Besprechung am gleichen Vormittag hatte dann zur Folge, dass ab sofort nur in einem Privatraum neben der Portierstube, den der dort wohnende Portier für diesen Zweck vormittags zur Verfügung stellte, rasiert werden durfte.

Es wurde also auf jeden Fall im Zentralbüro weiter rasiert, sobald jetzt ein Herr „fertig” war, wurde von diesem der nächste verständigt, und so ging es dann weiter, bis alle Angestellten „sauber” waren, Tag für Tag. Bei dieser Arbeit wechselten sich zwei Kohlscheider Friseure ab.

Übertreibungen

Nach der Mittagschicht kehrte das Ortsdrittel auf dem gemeinsamen Heimweg in eine Gaststätte ein. An der Theke sollte ein Bier auf den Geburtstag des Lehrhauers getrunken werden. Zur Runde lud man auch einen Berginvaliden ein, der gerade seine Getränke bezahlen und sich auf den Weg nach Hause machen wollte.

Der gefeierte junge Lehrhauer bezahlte auch eine zweite Runde, führte dabei großspurig das Gespräch, berichtete angeberisch von seinen Leistungen und seinen Erlebnissen. Als der Berginvalide dann selbst eine Runde Bier spendierte und den anderen zuprostete, nahm er die Gelegenheit der kurzen Gesprächspause wahr und erzählte, wohl einem inneren Mitteilungsbedürfnis folgend, von seinen Fähigkeiten und Erfahrungen. Dabei waren auch seine Darstellungen übertrieben und großspurig.

Der Wirt, der erst dem jungen Lehrhauer zugehört hatte, folgte jetzt den Darstellungen des Invaliden. Ganz erstaunt über dessen Erzählkunst kratzte er sich das Kinn und sagte verwundert: „Au Kaminge schwame och jott!”¹

¹) Alte Kamine rauchen auch gut!

Die Öcher kommen

Einmal im Jahr ging es hoch her, in den Dörfern feierte man Kirmes. Schon Tage vorher wurden Torten und Kuchen gebacken, das Haus herausgeputzt, die Sonntagskleidung gesäubert und frisch gebügelt. Im Ortsteil war Betrieb. Die Schausteller mit Losbude, Karussell und Raupenbahn fuhren auf den Kirmesplatz. Ein Stand mit Süßigkeiten für die Kinder war schon aufgebaut.

Am Kirmestag traf sich die ganze Familie zum Kaffeetrinken im größten Zimmer der Wohnung. Brüder und Schwestern, Onkel und Tanten, Nichten und Neffen, ob eingeladen oder nicht eingeladen, kamen zum Fest und waren Gäste.

Die Familie des Fördermaschinisten von Maria hatte sogar vornehme Verwandtschaff in der Stadt Aachen, die kamen gelegentlich auch zu Besuch. Wenn auch miteinander verwandt, so waren diese Städter doch nicht sehr gelitten. Ihre Vornehmheit passte nicht zu der Art der Mariadorfer. Ihre Sprache wurde belächelt. Und obwohl sie die angebotenen Speisen oft kritisierten und bemängelten, griffen sie doch recht herzhaft zu und aßen noch, wenn alle anderen satt waren.

Es war wieder Kirmes. Zur großen Kaffeetafel trafen sich auch die Angehörigen der Familie des Fördermaschinisten. Reichlich war der Tisch gedeckt. Süße Torten und mit Obst belegte Fläden standen bereit. Da klingelte es an der Haustür des Fördermaschinisten. Der ging zum Fenster und schaute auf die Straße. Dann drehte er sich zu seiner Frau um und sagte: „Dösch d'r Flaam futt, de Öcher komme!”¹

¹) Tu den Fladen fort, die Aachener kommen!

Sommerzeit (Günther Wolf)

Das letzte Abhauen auf Emil Mayrisch. Auch an den Wochenenden wird gearbeitet. Es ist Sonntag. Wir arbeiten in der Nachtschicht. Als Ortsältester teile ich die Leute ein. Zwei Mann gehen nach vor Ort, ein Mann leistet die Ladearbeit, zwei Mann werden den Transport der Ausbauteile besorgen.

Ich befahre die Arbeitsstelle und überprüfe die Bewetterung. Dann kümmere ich mich um Material und leere Förderwagen. Nach Stunden der Arbeit werde ich unruhig. Die Leute von „Vor Ort” müssten doch bald kommen! Nichts tut sich! Ich fahre mit dem Schleifkahn hinunter, um die Männer zu holen. Schließlich wird es langsam Zeit, zum Schacht zu gehen. Ich ermahne die Kameraden, die Arbeit einzustellen. Hauer Walter schaut auf seine Taschenuhr. „Wir haben noch eine Stunde Zeit”, sagt er. Ich schaue auf meine Armbanduhr. Da ist es aber schon eine Stunde später.

Schnell wird „gebaut” und zusammengepackt. Und ab geht es mit dem Panzer zur Ladestelle. Hauer Walter nimmt seine Uhr in der Annahme, sie ginge nicht mehr richtig, legt sie auf die Schienen und - schon ist sie platt. Er hat sie mit einem Raubhacke zertrümmert.

Der Lader Willi wundert sich über diesen Vorgang. Nach einem Blick auf seine Uhr und einem Rückruf bei der Befehlsstelle müssen wir feststellen, dass meine Uhr eine Stunde vorgeht. Ich hatte versäumt, meine Uhr um eine Stunde auf die Winterzeit zurückzustellen. Walters Uhr zeigte also die richtige Zeit. Jetzt bricht großes Gelächter aus.

Walter gibt mir die Reste seiner Uhr und meint: „Du bist schuld! Die Beerdigung ist deine Sache!”

D'r Bull (Heinz Hädermann)

Am Schacht treffen sich regelmäßig bei Schichtwechsel die Ortsältesten, um von der Ablöseschicht zu erfahren, wie es vor Ort aussieht. Das ist für unsere einfahrende Mannschaft wichtig, weil wir so erfahren, ob wir besondere Materialien oder Geräte benötigen, die wir aus dem Magazin mitführen müssen. Vielleicht ist sogar Sprengstoff mitzunehmen.

Die Kameraden unserer Ablöseschicht, denen wir am Schacht begegneten, wurden von einem Ortsältesten geführt. Er war ein waschechter Baesweiler. Hatte sein Drittel vor Ort die Bohrarbeit im Streckenvortrieb geleistet und war die Sprengung erfolgt, der Schuss abgetan, so dass für uns die Lade- und Ausbauarbeit anstand, dann gab uns dieser Ortsälteste immer eine gleichlautende Mitteilung. Er zog die Schultern hoch, breitete die Hände aus und sagte: „Jo, do hant werr jebohrt on jeschauße, on - paaf! -, do haste d'r Bull do legge!”¹

¹) Ja, da haben wir gebohrt und geschossen, und - paat! - da hast du den Kram da liegen!

Winterdienst

Es herrschte Teamgeist im Drittel beim Streckenvortrieb auf Emil Mayrisch in Siersdorf. Jeder Handgriff saß, jeder kannte seinen Arbeitsteil. Die Anweisungen des Ortsältesten Toni waren kurz und duldeten keinen Widerspruch. Oftmals reichte auch ein Blick oder ein kurzer Zuruf. Die große bergmännische Erfahrung des Ortsältesten fand allgemein Respekt. Selbst beim Buttern, wenn rege Gespräche geführt wurden, schwiegen alle, sobald Ton seine Meinung sagen wollte.

Auch übertage erkannte man das Besondere an Toni. Nach jeder Schicht stieg er selbstverständlich in seinen Mercedes und fuhr so standesgemäß nach Hause. Sein Auto pflegte Toni mit Sorgfalt, der Lack war tadellos, die Fenster blinkten, selbst die Reifen strahlten tiefdunkel.

Es war Winter. Frost und Schnee machten das Autofahren nicht immer zur Freude. Nach jeder Schicht waren die Fenster aller Wagen auf dem großen Parkplatz der Grube vereist. Es musste gekratzt und geschabt werden. Hier waren alle gleich. Nur Toni wieder, er erreichte leichter als alle anderen freie Sicht bei jedem Frostwetten. Bevor er aus dem Grubengebäude nach der Schicht zu seinem Wagen ging, füllte er sein Kaffeeblech in der Waschkaue mit heißem Wasser. Mit dem Blech, das er in sein Handtuch eingewickelt hatte, ging er zum Parkplatz. Dort schüttete er das heiße Wasser über die Frontscheibe seines Wagens, putzte kurz mit dem Handtuch nach, stieg dann in sein Auto und fuhr los.

Schon vor Schichtbeginn in der Waschkaue lenkte der Lehrhauer Franz seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sorgte für den Gesprächsstoff. Nach langem Sparen hatte Franz es geschafft, sich ein eigenes Auto zu kaufen. Es war ein repräsentativer Wagen aus der Autofabrik in Ingolstadt, also ein Mercedes. Das Gefährt war zwar über zehn Jahre alt, Verschleißspuren waren deutlich erkennbar, die Beulen im Blech nicht zu übersehen, aber Franz besaß ein Auto.

Beim Buttern vor Ort waren die anderen Bergleute des Drittels so mutig, auch den Ortsältesten zu reizen. „Was ist schon ein Mercedes? - Der Lehrhauer fährt auch so ein Gestell!” Das war das Thema des Gespräches.

Der Lehrhauer freute sich, war stolz. - Doch der Ortsälteste verstummte zusehends. Verärgert war er. Immer wortkarger wurde er. Seine Miene war finster. - Besonders den Lehrhauer ließ er seinen Verdruss spüren. - So blieb es über die ganze Schicht. So blieb es auf der Fahrt zum Schacht und auch bei der Ausfahrt. Selbst in der Waschkaue herrschte düstere Stimmung. - Als erster war der Ortsälteste gebadet und hatte sich seine Alltagskleidung angezogen. Ohne Gruß verließ er seine Leute, um auch an diesem Wintertag das gewohnte Zeremoniell abzuwickeln. Heißes Wasser in das Kaffeeblech, das Handtuch um das wertvolle heiße Nass gewickelt, schnell zum Parkplatz zu seinem Mercedes, um die Frontscheibe vom Eis zu befreien. Das alles geschah mit Routine.

Mit frostkalten Händen fingerte der Ortsälteste den Autoschlüssel aus der Hosentasche, prüfte kurz die vom Eis befreite Frontscheibe und ging um das leicht eingeschneite Gefährt zur Wagentür. Da stand schon der Lehrhauer. Der steckte mit großem Selbstverständnis seinen Schlüssel in das Türschloss, öffnete lachend die Autotür und sagte zu seinem Ortsältesten: „Danke, dass du mir das Eis entfernt hast! - Die Gefälligkeit macht dein Motzen während der Schicht wett.” Dann stieg er ein, startete den Wagen und fuhr, dabei nickte er dem verdutzten Ortsältesten freundlich zu, mit Vollgas davon.

Seilfahrt (Hein Küsters)

Wenn die Bergleute in der Grube ihre Schicht beendet hatten, dann gingen sie schweren Schrittes und müde von der Arbeit unten zum Schacht und setzten sich auf ihr Arschleder, um auf den Förderkorb und das Klingelzeichen zur Seilfahrt zu warten.

Weil es nun für jeden frommen Bergmann selbstverständlich war, am Sonntag den Gottesdienst zu besuchen, gingen die Arbeiter der Nachtschicht direkt von der Grube mit dem Pöngel¹ unter dem Arm zur Kirche. Im hinteren Teil der Kirche, nahe der Eingangstüre, blieben sie stehen. Müde von der Arbeit legten sie ihren Pöngel auf den Boden und setzten sich darauf. Es war keine Seltenheit, wenn während der Messe einem Bergmann die Augen zufielen.

Einmal passierte dann folgendes bei der Heiligen Wandlung: Als ein Meßdiener seine Schelle betätigte, schreckte ein eingeschlafener Kumpel auf, und weil er im Halbschlaf glaubte, noch am Schacht zu sitzen, rief er lautstark: „Seilfahrt! D'r Körv kött!”²

¹) Bündel
²) Seilfahrt! Der Korb kommt!

Das Takelzeug (Kurt Mätzig)

Kohlenhauer und Gesteinshauer, das waren zwei Welten. Während die Gesichter der Kohlenhauer vom Staub in den Streben pechschwarz waren, an ihrer Arbeitskleidung kein heller Flecken zu erkennen war, erkannte man die Gesteinshauer an den immer noch sauberen Gesichtern und den vom Bohrmehl weißen Arbeitsanzügen. Auf diesen Unterschied legten die Gesteinshauer großen Wert. Wurde im Streckenvortrieb gebohrt, stellten sie sich an der Ortsbrust unter das aus dem Bohrloch rieselnde weiße Gesteinsmehl, drehten und wandten sich nach allen Seiten, um möglichst überall vom Bohrmehl weiß gefärbt zu werden.

Kurt kam aus dem Norden unseres Vaterlandes. Als er auf Anna I um Arbeit fragte, wollte der Betriebsführer nur wissen, ob er Arbeitszeug habe. Kurt besaß schneeweißes Takelzeug von der Kriegsmarine, das zog er nach untertage an.

Nach Schichtende stand Kurt mit den anderen Bergleuten am Schacht und wartete auf den Beginn der Seilfahrt, um wieder nach seiner ersten schweren Schicht nach übertage zu kommen. Sein schneeweißes Takelzeug war schon gewaltig eingefärbt, doch fehlten noch einige Arbeitstage, um die Schwärze der Arbeitsanzüge der anderen Kohlenhauer zu erreichen. Als Neuling untertage und dann noch in seinem hellen Anzug fühlte sich Kurt beobachtet. Besonders die Gesteinshauer eines Drittels, die auch auf den Beginn der Seilfahrt warteten, schauten immer vorwurfsvoll zu Kurt. Da näherte sich ihm der Ortsälteste der Gesteinshauer. Ganz nah schob er seinen Mund an Kurts Ohr und sagte leise, aber bestimmt: „Kick, dat de morje schwazz bes wie die angere, sons färve wir dich enn!”¹

¹) Guck, dass du morgen schwarz bist wie die anderen, sonst färben wir dich ein!

Der neue Schießmeister

aus: Heimatblätter des Landkreises Aachen Heft 1/1937

Auf Nordstem wurde die Arbeit sozusagen vererbt vom Vater auf den Sohn, von dem Großvater auf den Enkel und so fort. Manchmal kamen durch ein gutes Wort auch Freunde und Bekannte unter. Da war ein Schießmeister, der hatte bald seine siebzig Jahre vollendet, und viele, die das wussten, sehnten sich insgeheim nach dem bald vakanten Posten.

Ein Freund des Alten lag diesem tagtäglich in den Ohren, er möge doch ein gutes Wort für ihn beim Betriebsführer einlegen. Der tat das auch, und der Anwärter wurde zur Werksleitung bestellt. „Kannst Du och schreje?”¹ fragte der Betriebsführer. (Wenn der Schuss gebohrt und gelegt war, wurde früher die lange Zündschnur in Brand gesteckt, der Schießmeister rief: „Es brennt!” - und alle gefährdeten Arbeiter suchten bis zum Abschuss Deckung hinter Kohlen- oder Steinwänden). „Ja”, sagte der Mann, „Schreien kann ich.” „Stell Dich ens henge en die Eck van d'r Saal und schrei ens, so hell Du kanns!”² befahl der Betriebsführer. Der Mann tat das so gut, dass sein Brandgeschrei durch den Lichthof, gewinkelte Flure entlang, eine Treppe tiefer bis in die Waschkaue schallte.

Dort war gerade eine Schicht Bergleute ausgefahren und beim Bade. Als die den gewohnten Ruf hörten, schnappten sie Hemd und Hose und was sie gerade greifen konnten, rannten dahin und dorthin - ein Bild zum Totlachen, Nackte und Halbnackte, Schwarze und Reingewaschene, vom Wasser Triefende, Scherzende und FIuchende, eine aufgestörte und wie von unheimlicher Gewalt getriebene Zechenmannschaff. „Der Mann hat bestanden!” sagte der Betriebsführer, „von heute ab ist er Schießmeister!”

¹) Kannst Du auch schreien?
²) Stell Dich einmal hinten in die Ecke vom Saal und schrei einmal so laut, wie Du kannst!

Wortspielereien (Toni André)

Es war Anfang Juni. Auf Maria II, der Hauptwerkstatt des Eschweiler Bergwerks-Vereins in Mariadorf, wurden einige neue Leute eingestellt. Darunter befand sich auch ein Mann namens Sabelleck. Er wurde dem Meister Quadflieg zugeteilt, der sich seinen Namen von Anfang an nicht richtig merken konnte. Jedesmal, wenn er ihn ansprach, sagte er „Herr Sallebeck” zu ihm, aber dieser traute sich nicht, dem Meister zu widersprechen. Innerlich aber „kochte” Herr Sabelleck vor Wut. Nach sechswöchiger Probezeit wurde er zum Betriebsführer bestellt. Dort im Zimmer wartete auch Meister Quadflieg. Schließlich sollte er begutachten, ob sein Arbeiter aus Aachen als ständige Kraft behalten wurde.

Wieder wurde unser „Öcher” mit seinem völlig verdrehten Namen angesprochen. Aber der Höhepunkt kam, als er den Vertrag unterschreiben sollte. Da stand doch tatsächlich auf dem Arbeitsvertrag „Herr Sallebeck”.

Endlich packte ihn der Mut, und er schlug mit beiden Fäusten auf des Betriebsführers Tisch, so dass dieser bedenklich wackelte. „Nun bin ich's aber leid, dauernd mit dem falschen Namen angesprochen zu werden. Ich heiße Sabelleck und nicht, wie Sie immer sagen ,Sallebeck'!” schrie er durch den Raum. „Wollen Sie das bitte zur Kenntnis nehmen!” Dann schoss er noch hinterher: „Ich sage ja auch nicht ,Quietschflasch' anstatt Quadflieg zu Ihnen, Meister!” Betriebsführer und Meister waren total verdutzt, aber plötzlich lachten sie, dass sich die Balken bogen. Der Vertrag wurde neu gefasst, und der Arbeiter bekam seine Festanstellung als Schlosser. Zum Trost durfte er mit den beiden Herren einen Bergmannsschnaps trinken. Diese gelobten, in Zukunft seinen Namen richtig auszusprechen.

Dafür hieß der Meister aber fortan bei seiner Belegschaft nur noch „Meister Quietschflasch”.

Der „Zuppekomp” (Hein Küsters)

Konrad arbeitete schon über zwanzig Jahre auf dem Holzplatz der Grube Anna. Zu Hause stand er zwar unter dem Pantoffel und tanzte nur nach der Pfeife seiner Frau, jedoch brachte sie ihm jeden Tag, wenn er Mittagspause hatte, seinen Henkelmann mit Essen bis an den Palisadenzaun, der das Grubengelände umschloss.

Sechsmal in der Woche kochte dieser Ehe-Dragoner Eintopfsuppe, aber nicht einmal muckte Konrad dagegen auf, denn seine Zilla hatte gut zweihundert Pfund Kampfgewicht in den Schuhen stehen und Haare auf den Zähnen. Sie hätte ihn glatt durch die Mangel gedreht.

Wer nun als erster dem Konrad „Zuppekomp”¹ hinterhergerufen hat, ist nie ans Tageslicht gekommen, aber auf der Grube hieß er fortan nur noch „Zuppekomp”. Er konnte sich furchtbar darüber ärgern und wurde mit der Zeit ein flatterndes Nervenbündel.

Kurz und gut. Konrad ging zum Betriebsführer und bat um Verlegung auf eine andere Grube. Dieser sagte jedoch: „Nur ruhig Blut! Sie sind ein fleißiger Mann, deshalb möchte ich Sie nicht verlieren. Zudem läuft einem ein Spitzname nach wie ein Hund. Aber ich lasse am schwarzen Brett bekanntmachen, dass jeder der dieses schlimme Wort noch einmal in den Mund nimmt, bestraft wird.”

„Dann bin ich zufrieden” sagte Konrad. „Glückauf, Herr Betriebsführer!” Die Antwort des Betriebsführers: „Glückauf, Zuppekomp!”

¹) Suppenschüssel