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Die einzelnen Teile der Sagen und Erzählungen aus Alsdorf und Umgebung:
Zufälliges Foto aus der Galerie "Kreuze am Wegesrand":
Kreuze am Wegesrand, 24. "Engelstraße", Foto-Nr. 3, 19.09.2010|50.87796667,6.17640556

Sagen und Erzählungen aus Alsdorf

Teil II: Sagen aus der Umgebung von Alsdorf

Teil II stammt ebenfalls aus dem in Teil I genannten Buch und wurde von Prof. Dr. Capitaine aus Eschweiler gesammelt.

Das Zubbeldiehr

Vor 50 Jahren war der Alsdorfer Brühl, die heutige Brühlstraße, nur ein schmaler Gehweg. Dichte Buchenhecken, durchwachsen von Heckenrosen, Weißdorn und Eschen säumten ihn ein. In der Höhe, etwa drei bis vier Meter, einte sich alles Gesträuch zu einem Laubendach. Zur Brutzeit nisteten im Heckendickicht Amseln, Rotschwänzchen, Zaunkönige, Rotkehlchen und Grasmücken - in Alsdorfer Mundart „Jrastatsch” genannt - und dazu auf und unter den Blättern Schnecken in ihren bunten Häschen. An einer Seite lief zwischen Hecke und Wege ein Flutgraben, der das Wasser von Annastraße, Kirchstraße (heute Cäcilienstraße), Castorstraße, Eckstraße, Burgstraße, dem Oidtweiler Flutgraben zuführte und häufig zum Gießbach anschwoll. Für uns Kinder war der Brühl voller Erlebnisse. Wenn aber die Nacht ihn in undurchdringliche Finsternis hüllte, trieb ein greuliches, zottiges Ungetüm mit Wolfsrachen und Kalbsfüßen hier sein Unwesen. Das war das Zubbeldiehr. Im dichten Gestrüpp der Hecken lauerte es den Menschen auf. Niemand wollte am Abend mehr durch den Brühl gehen. Denn das Zubbeldiehr sprang jedem auf den Rücken, ließ ihn nicht los, bis der Betreffende zu Hause war. Dann war es aber ganz plötzlich verschwunden.

Eines Abends kam ein Mann spät von Oidtweiler nach Hause. Um den Weg abzukürzen, ging er durch den Brühl. Da sprang ihm das Zubbeldiehr auf den Nacken. In seiner Angst fing der Mann an zu laufen; er schwitzte fürchterlich. Kein trockenes Haar war auf seinem Kopfe. Aber das Zubbeldiehr ließ ihn nicht los. Seine Last wurde immer größer und schwerer, bis der Mann vor seiner Haustür anlangte. Da ließ das Zubbeldiehr ihn auf einmal los. Beim zweiten Mal ging der Mann früher als das erste Mal durch den Brühl. Da sah er das Zubbeldiehr schon in der Hecke sitzen. Es sprang ihm in den Nacken und ließ sich von ihm nach Hause tragen. Als der Mann ein drittes Mal nachts durch den Brühl gehen mußte, nahm er vorher zu Hause Weihwasser, und er sah nichts mehr vom Zubbeldiehr.

Inhaltlich mitgeteilt von Heinrich Kempchen, Alsdorf

Burggeist auf der Böckerheide

Die armen Leute von Alsdorf hatten auf der Böckerheide ein Stück Land. Dieses begehrte der Burgherr gar sehr. Häufig ließ er heimlich die Grenzpfähle versetzen, und nach einer Reihe von Jahren war das Land sein Eigentum. Die armen Leute gerieten in große Not. Der ungerechte Burgherr war nach viel Leid und Qual elend gestorben. Aber seine Seele konnte nach dem Tode keine Ruhe finden. Alle Ungerechtigkeit und Wucherei, die der Ritter zeitlebens begangen hatte, ließen den Geist jede Nacht umgehen. Ein feuriger Wagen, von zwei feurigen Pferden gezogen, fuhr jede Nacht vom Alsdorfer Busch bis nach Oidtweiler. Hinten auf dem Wagen saß der Burggeist; der Grenzpfahl lag neben ihm im Wagen, und immer rief er: „Wo leg ich ihn hin?” Leute hatten den Burggeist oft rufen hören, und man war zu bange, nachts durch das Feld zu gehen. Einmal ging ein Betrunkener diesen Weg spät in der Nacht. Da kam der feurige Wagen wieder. Der Geist rief wie immer: „Wo leg ich den Pohl hin?” Da schrie der Betrunkene: „Leg ihn dorthin, wo du ihn fortgenommen hast!” Da ließ der Burggeist den Pfahl fallen und rief: „Endlich bin ich erlöst!” Damit war er samt Wagen und Pferden verschwunden.

Inhaltlich mitgeteilt von Kaspar Funken, Alsdorf

Hexen im alten Alsdorf

Alsdorf war vor 150 Jahren ein Dörfchen, dessen 1000 Einwohner fleißig ihrem Tagwerk oblagen, darunter gar manche als Weber. Vom Hexenglauben der Alsdorfer Weber diese Sage:

Ein Weber ging am Abend zu seinem Nachbarn, der auch ein Weber war, damit er ihm helfe beim Aufziehen der Kette auf den Webstuhl. Unterwegs begegnete ihm ein altes Weib, das ihm freundlich auf die Schulter klopfte und sagte: „Ihr jott Och de Kett obtrecke!” Der Mann sagte: „Joe.” Wie er nun in das Haus des Nachbarn kam, wurde ihm unwohl. Als er wieder zu sich kam, machten beide die Kette fertig. Er hatte kaum eine halbe Stunde gewebt, als die Kette riß und er sie wieder aufziehen mußte. Kaum hatte er wieder eine halbe Stunde gewebt, da rissen die Kettenfäden abermals. Nun setzte sich der Meister Nachbar an den Webstuhl. Nach einer halben Stunde riß auch ihm die Kette. Da sagte der Nachbar: „Dat legg an Uech selver.” Und er verließ das Haus. Die Kette riß immer wieder, und da der Weber müde war, ging er zu Bett. Er wurde blind. Als er von dieser Krankheit nach vier Jahren frei wurde, blieb er sieben Jahre lahm und starb.

Nach seinem Tode teilte seine Frau den Trauring und legte die eine Hälfte oben auf den Türbalken und die andere in eine Ritze unter die Türschwelle; denn sie dachte bei sich, nun kann kein Unheil mehr ins Haus hinein. Eines Tages kam das unheimliche Weib an die Türschwelle, machte die Tür auf, kam aber nicht herein. Da sagte die Hausfrau: „Kommt doch marr erenn!” Die Hexe entgegnete: „Dot dat wat övver de Dür on onger dr Dörpel legg, isch futt; da komm ich och erenn.” Da schrie die Hausfrau: „Du bes dat Hexewief, dat minne Mann behext hat!”

Ein junger Mann aus Alsdorf karessierte (war verliebt) an ein Mädchen, das hexen konnte, und auch deren Mutter konnte hexen. Als der Junge das merkte, ging er am Abend in das Haus und legte sich schlafen. Er schlief aber nicht, er wollte nur sehen, was die zwei machten. Da sagte die Mutter zu dem Mädchen: „Maag dat de Keel fut könnt. Et weed Zitt; wir mösse no dr Hexedanz op de Böcke.” Da kochte sie ein Ei und legte das dem Jungen in die Hand, aber er wurde nicht wach. Nun nahmen sie einen Topf und rieben sich mit dem, was darin war, ein und sagten: „Schoorestee herus, övver Hegge on Züng bes op de Böcke no dr Hexedanz.” Da waren die zwei plötzlich verschwunden. Nun nahm der Freier das Töpfchen, rieb sich auch mit der Hexensalbe ein und sagte: „Schoorestee herus, övver Hegge on Züng bes op de Böcke no dr Hexedanz." Und fort war auch er. Das Mädchen erblickte ihn auf der Böckerheide sofort und sagte zur Mutter: „Modder, do steet minge Minsch!” Damit waren beide Frauen verschwunden, und der Freier stand da allein.

Inhaltlich mitgeteilt von Heinrich Kempchen, Alsdorf

Der kleine Tambour

Ein junger Franzosenheld fand in der Schlacht bei Aldenhoven einen traurigen Tod. Auf der ganzen Linie des weiteren Schlachtfeldes waren die Franzosen zurückgeschlagen worden. Ein einziger nur, ein Tambour, noch nicht einmal dem Knabenalter entwachsen, war auf der Begau bei Hoengen dem allgemeinen Gemetzel entgangen. Er war erst am Vorabend der Schlacht mit einer Abteilung Freiwilliger aus seiner Heimat, der herrlichen Provence, zur Armee gelangt und noch in derselben Nacht dem Bataillon einverleibt worden, das hier den Heldentod fand. Schwer verwundet, lag er bleich und blutig neben seiner zerfetzten Trommel unter den toten Gefährten auf dem Schlachtfelde; seine zarten Hände hielten noch die Schlägel trotzig umklammert. Der österreichische Oberst Graf von Pforzheim sah den jungen Krieger und sagte wohlmeinend, den solle man heiler Haut zu seiner Mutter laufen lassen. Diese Worte erregten den Spott der Österreicher im Gefolge des Obersten und kränkten das jugendliche Ehrgefühl des tapferen Knaben. Der Verwundete sprang auf, entriß einem Dragoner die Pistole und schoß den Oberst vom Pferde. Da stürmten von allen Seiten die Krieger gegen ihn und schlugen ihn nieder. Der Oberst wurde in Aldenhoven auf dem Kirchhofe begraben, wo bis in die letzte Zeit noch sein Grabmal gezeigt wurde.

Aus H. Hoffmann: Zur Volkskunde des Jülicher Landes, II. Teil

Nächtlicher Bockritt

Ein junger Mann aus Jülich war den Werbern in die Hände gefallen und von diesen als Soldat nach Spandau gebracht worden. Schon sieben Jahre hatte er hier auf der Feste gedient und in der Zeit nichts mehr aus der Heimat vernommen. Da ergriff ihn, als er einsam auf dem hohen Wall der Festung stand und nach Westen, nach seinem Vaterlande, schaute, großes Heimweh. Der Krieger weinte und seufzte, und sehnsüchtig rief er nach Vater und Mutter. Da schlug ein alter Korporal, der freiwillig schon 40 Jahre diente, dem Jammernden freundlich auf die Schulter, und da er ein Landsmann des Jülichers und gar aus dem benachbarten Herzogenrath war, erklärte er sich bereit, seinem Seufzen ein Ende zu machen. Er bekannte sich dem Jülicher als Bockreiter und bedeutete ihm, er werde in Jülich sein, ehe am nächsten Morgen der Hahn krähte. Der Soldat stand sinnend und betroffen, nachdem der Korporal ihm den Rücken gewendet; von den Reitern aus Herzogenrath hatte man ihm so viel Schreckliches und Wunderbares berichtet. Er wußte, daß die Bockreiter schneller sind als der Wind, daß sie an einem Tage in der Türkei dem Sultan die Wäsche gestohlen und anderen Morgens schon in London feilgeboten haben. So erwartete der Jülicher Soldat mit gemischten Gefühlen die Mitternacht. Die Nacht war kalt, und der Sturm heulte; die Eulen krächzten im Turm. Da nahte der alte Korporal dem Soldaten, der ihn - auf der Bastei stehend - erwartete. Der Korporal winkte mit dem Stocke, und zu seiner Seite erschien plötzlich ein zottiger Bock; der war schwärzer als die Raben und schwärzer als die Nacht. Seine Augen glühten wie Feuer aus dunklem Schacht. Der alte Bockreiter reichte dem jungen Landsmann einen Trunk und riet ihm, Mut zu trinken zu dem langen Ritt. Er mahnte ihn, bei etwaiger Angst nicht das Wort zu brauchen, das seine Mutter immer bei plötzlichem Schrecken ausgesprochen habe; dagegen dürfte er fluchen und teufeln wie ein Galgendieb. Bald saß der Jülicher auf dem Bock. „In Teufels Namen”, sprach der junge Mann, als er die Hörner des zottigen Tieres sicher gefaßt hatte. Da fuhr der Bock behende mit seinem Reiter empor; aus den schwarzen Zottelhaaren sprühten helle Funken hervor. Ein langer Feuerstreifen bezeichnete den Zug, den der Bock mit dem Reiter am Himmel machte. Leute von Jena sahen die nächtliche Erscheinung und glaubten, es zeige ein feuriger Drache sich am dunklen Himmel. So gingen dem Reiter die Stunden wie Sekunden dahin. Auf einmal ging es in jähem Ritt der Tiefe zu. Da erschrak der müde Mann, der abgehetzt war von dem unheimlichen Teufelsritt, und das Wort „Jesus” entfuhr seinen bebenden Lippen. Sogleich stürzte er kopfüber in einen Busch hinein; sein Bein war gebrochen, und der Bock war fort. Am Morgen fand ein braver Bauer den Verwundeten und erklärte ihm, daß er im Jülicher Walde sich befinde. Da bat der Soldat der Mann möge ihn doch nach Jülich führen, wo seine Eltern wohnten, nach denen er seit Jahren sich gesehnt. Der gute Bauer brachte den Verwundeten nach Jülich, und hier wurde er Zeuge eines freudigen Wiedersehens.

Nach P.J. Fischbach: „Der Deserteur aus Spandau", 5. 76-79, Gedichtauswahl, M. Gladbach 1871.